Rede am 13.02.2014 zum Ende des ISAF-Einsatz in Afghanistan.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Gregor Gysi, Sie dürfen der Bundesregierung nicht alles glauben. Die Bundesverteidigungsministerin hat gesagt, Deutschland solle sich mehr engagieren. Heute legt sie aber ein Mandat vor, das vorsieht, künftig 3 000 Soldatinnen und Soldaten weniger im Ausland einzusetzen.
Der Kampfeinsatz soll 2014 beendet werden. Ein solches Mandat, ein geordneter Abzug und die Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die Afghanen, haben wir sehr lange gefordert. Dieses Abzugsmandat ist überfällig, und deswegen fällt es mir leicht, zu sagen: Das jetzt zu beenden, ist richtig.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich sage aber: Es ist auch an der Zeit, eine Bilanz zu ziehen. – Ich habe damals der Regierung angehört, die die Soldatinnen und Soldaten nach Afghanistan geschickt hat.
(Zuruf von der LINKEN: Das stimmt! – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Schlecht ausgerüstet und schlecht ausgebildet!)
Deswegen und natürlich auch angesichts der Opfer der Afghanen und der Deutschen muss man sich dieser Frage sehr ernsthaft stellen.
Wenn ich nach diesen zwölf Jahren darüber nachdenke, dann komme ich nicht zu einer einfachen Wahrheit, sondern zu einem paradoxen Befund: Es war richtig, das Talibanregime zu stürzen.
(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)
Dennoch sind wir und ist die NATO in Afghanistan ein Stück gescheitert. – Man muss sich beiden dieser Wahrheiten stellen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Rebmann [SPD])
Der internationale Terrorismus wäre eine größere Gefahr und diese Welt wäre erheblich unsicherer, wenn er in Afghanistan noch einen Rückzugsraum hätte. Vor 2001 stand er übrigens regelmäßig unter dem Schutzschirm des pakistanischen Geheimdienstes. Das Leben der Afghaninnen und Afghanen wäre erbärmlicher, wenn die Taliban weiterhin in weiten Teilen des Landes die Mädchen am Schulbesuch hinderten und Ehebrecherinnen und Oppositionelle nach Belieben steinigen -würden. Es ist übrigens nicht so, dass der Krieg in Afghanistan mit der Intervention des Westens angefangen hat; dort herrschte zu dem Zeitpunkt Krieg.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU], an die LINKEN gewandt: Moskau!)
Dennoch sind wir gescheitert. Ich zitiere: Die „Förderung von Sicherheit, Entwicklung und Rechtsstaatlichkeit“ ist „trotz großer und anerkennenswerter Anstrengungen“ nur unzureichend gelungen. – Das schreibt Herr Papier für die Evangelische Kirche in Deutschland.
Wir sind von einem echten State Building weit entfernt. Die Sicherheitslage hat sich übrigens noch in 2013 gegenüber 2012 verschlechtert. Nach Angaben der UNAMA ist die Zahl der zivilen Opfer noch einmal um 16 Prozent angestiegen, und auch die Zahl der Anschläge hat um 10 Prozent zugenommen.
Wir als internationale Gemeinschaft werden noch über Jahre hinweg den afghanischen Sicherheitssektor finanzieren, ausbilden und ausrüsten müssen. Von selbsttragender Sicherheit sind wir trotz der Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die Afghanen ein ganzes Stück entfernt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das ist der andere Teil der Wahrheit.
Worin hat dieses Scheitern bestanden? Ich glaube, dass die EKD das an einem Punkt ganz klug beschrieben hat. Sie hat ausgeführt:
Ein friedens- und sicherheitspolitisches Gesamtkonzept unter dem Primat des Zivilen,
– nicht unter Verzicht des Militärischen, sondern unter dem Primat des Zivilen –
hat weitgehend gefehlt. Die enge Verknüpfung des ISAF-Mandates mit der von den US-Amerikanern als Teil des „War-on-Terror“ geführten Operation „Enduring Freedom …“ hat die Glaubwürdigkeit der Friedens- und Unterstützungsmission ISAF erheblich beeinträchtigt.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das ist der Kern. Man kann keinen Rechtsstaat aufbauen, wenn man jede Nacht Drohnen zu extralegalen Tötungen losschickt. Das zerstört die Glaubwürdigkeit eines solchen Einsatzes und eines zivil-militärischen Ansatzes.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Wir dürfen nie wieder zulassen, dass auf einem Gebiet zwei sich gegenseitig ausschließende militärische Operationen stattfinden, wie es dort der Fall gewesen ist. Ich sage sehr deutlich: Mit dem Beginn von ISAF hätten die OEF und auch diese ganzen Strategien beendet werden müssen, egal unter welchem Plakat sie gemacht worden sind.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das war aber nicht der Fall!)
Dann gibt es einen zweiten Fehler, über den wir noch gründlicher nachdenken müssen. Asymmetrische Kriege – wir sprechen hier über Krieg – unterscheiden sich von konventionellen Kriegen in einem wichtigen Punkt: Konventionelle Kriege kennen am Ende häufig einen Sieger und einen Verlierer. Asymmetrische Kriege kennen häufig
(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Nur Verlierer!)
keine Sieger, sondern nur Verlierer.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja!)
Durch den Militäreinsatz wird das Kräfteverhältnis verschoben. Aber am Ende eines solchen Konflikts steht, wenn er denn beendet wird, in der Regel eine Verständigung, irgendein Kompromiss zwischen den Konfliktparteien. Genau dieser richtigen Erkenntnis haben wir uns viel zu lange entzogen.
Ich erinnere mich noch, wie der damalige SPD-Vorsitzende Kurt Beck insbesondere von der CDU/CSU ausgelacht worden ist, als es hieß, es müsse mit den Taliban Gespräche geben. Uns schlug wegen dieser Forderung Empörung entgegen. Heute sind Sie selber froh, dass der Botschafter Steiner im Auftrag der Bundes-regierung den Taliban ein Büro in Katar angemietet und Gesprächskanäle zu den USA eröffnet hat. Wir sind alle gemeinsam besorgt, dass diese Gesprächskanäle am Ende wegen der Fortsetzung des Drohnenkrieges zum Erliegen gekommen sind.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das hat ihm aber keiner gedankt!)
– Nein, das hat ihm keiner gedankt. Er ist stattdessen nach Indien strafversetzt worden.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Genau das!)
Deswegen sage ich: In Afghanistan ist die NATO nicht an zu wenig Militär gescheitert. Wir sind gemeinsam daran gescheitert, dass wir von Beginn an zu wenig Entwicklung und zu wenig Willen zu einer politischen Lösung auf die Tagesordnung gesetzt haben. Das ist der Kern des Problems.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das bleibt nicht ohne Konsequenzen. Man hat sich einmal die NATO in der Rolle des globalen Dienstleisters für Sicherheit für die Weltgemeinschaft vorgestellt. Ich sage Ihnen: Nach Afghanistan und Libyen wird es dafür kaum neue Mandate geben. Auch und gerade unsere demokratischen Verbündeten unter den Schwellenländern werden das nicht mehr akzeptieren.
Dennoch glaube ich, dass der Bundespräsident recht hat: Deutschland muss mehr internationale Verantwortung übernehmen. Der Bundespräsident hat das wie folgt beschrieben: Das bedeutet nicht – ich zitiere – „mehr Kraftmeierei“. Er setzt dagegen „auf Prävention, auf internationale Zusammenarbeit sowie auf die Entwicklung von Frühwarnsystemen gegen Massenverbrechen“.
Deswegen müssen wir uns im Rahmen der Vereinten Nationen mehr organisieren und engagieren. Da, wo das Militäreinsatz bedeutet, wird es mehr DPKO und weniger NATO sein. Wir müssen mehr zivile Missionen auf den Weg bringen. Deswegen ist eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik künftig von wachsender, zentraler Bedeutung.
Nur, werden wir, Herr Bundesaußenminister, dieser Herausforderung auch gerecht? Sie haben in München gesagt: Außenpolitische Verantwortung muss immer konkret sein. – Ich frage die Bundesregierung: Wo sind denn eigentlich die für Postkonfliktländer notwendigen 1 000 Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte, die wir angeblich auf Stand-by vorhalten? Die gibt es nicht einmal auf dem Papier.
Vizepräsident Johannes Singhammer:
Herr Kollege Trittin, denken Sie an die Redezeit.
Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Wenn wir über Früherkennung und Prävention reden: Ist es wirklich klug, im Großkonflikt zwischen Saudi-Arabien und dem Iran die eine Seite mit Hermesbürgschaften hochzurüsten?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Aber, meine Damen und Herren – damit komme ich zum Schluss –, es gibt einen einfachen Prüfstein dafür, ob Deutschland seiner Verantwortung außenpolitisch gerecht wird – das hat der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler ganz gut formuliert, das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit –: Schaffen wir es wenigstens, wenn wir schon die Zusagen für 2015 reißen, bis 2017 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts für Entwicklungshilfe auf den Weg zu bringen? Das ist der Prüfstein für die Glaubwürdigkeit für mehr internationale Verantwortung, und das ist die Frage, ob wir auch aus dem Scheitern in Afghanistan endlich etwas lernen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
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