Assoziierung ist nicht Beitritt

Herr Trittin, ist Russland eine Bedrohung für Europa?
Es ist eine Bedrohung für die Ukraine. Das aktuelle Agieren Putins resultiert aus einer politischen Defensive und eines zum Teil damit einhergehenden Ansehensverlusts bei der Bevölkerung im eigenen Land. Den versucht er wett zu machen. Er tut das mit einem Rückgriff auf klassische geostrategische Instrumente. Das ist noch keine Bedrohung der Europäischen Union. Es unterstreicht aber den Anspruch, bei der politischen Ordnung der Ukraine ein Wort mitzureden – und zwar über die berechtigten Interessen Russlands hinaus. Das kann Europa nicht akzeptieren.

Ist Russland eine militärische Bedrohung für seine unmittelbaren Nachbarn? Und wenn ja, was folgt daraus für die Bündnispartner?

Ich glaube, dass es bei den Balten und Polen aufgrund ihrer Geschichte eine sehr viel höhere Sensibilität gibt. Dem hat die Nato – etwa durch die Verstärkung der vereinbarten Luftraumüberwachung – Rechnung getragen. Ich glaube aber nicht, dass man den Fehler begehen sollte, den der Nato-Generalsekretär offenbar aus ideologischen Gründen heraus begeht. Man darf nämlich die gefühlte Bedrohung nicht zu einer realen Bedrohung umwidmen und damit dann die Rückkehr zu sehr überholten Politikkonzepten zu forcieren: die Nato möglichst weit nach Osten ausdehnen, aufrüsten und Russland einkreisen.

Was macht eigentlich Rasmussen anderes, als den östlichen Nato-Partnern Schutz zu garantieren? Das ist Geschäftsgrundlage des Militärbündnisses.

Die stellt niemand in Frage. Und sie wird auch dann nicht in Frage gestellt, wenn man in diesen Staaten nicht dauerhaft Truppen stationieren will.

Derweil melden die russischen Abendnachrichten im ersten Fernsehprogramm, die Amerikaner träumten von einem nuklearen Erstschlag gegen Russland. Dafür bräuchten die USA die Ukraine und deshalb vernichte die ukrainische Regierung derzeit mit Zustimmung der USA die pro-russische Bevölkerung im Osten des Landes. Das ist nur ein Ausschnitt aus dem täglichen russischen Propagandaspektakel. Für wen ist das bedrohlich?

Das ist zunächst bedrohlich für die Situation in der Ukraine. Die wird mit diesen Lügenmärchen nicht einfacher zu lösen sein, weil es in der Ukraine auch Menschen gibt – vielleicht auch begünstigt durch Fehler der Übergangsregierung – die ernsthaft glauben, dass da irgendetwas dran sein könnte. Auch diese Form des Säbelrasselns trägt dazu bei die Krise in der Ukraine zu verschärfen und eine Lösung noch schwerer zu machen. Es erhöht die Gefahr des staatlichen Zerfalls und des Bürgerkrieges. Ein Bürgerkrieg in unmittelbarer Nachbarschaft ist weder im Interesse Europas noch im Interesse Russlands.

Die Verteidigungsministerin erklärt, über interne Diskussionen der Nato nicht öffentlich spekulieren zu wollen. Sie wiederholt beständig Säbelrasseln sei nicht das richtige Signal. Geht noch mehr verbale Abrüstung?

Deutschland hat schon 2008 das Ansinnen Rasmussens abgelehnt, die Ukraine und Georgien in die Nato aufzunehmen, aus genau den Befürchtungen, die jetzt in der Ukraine eingetreten sind. Die Verteidigungsministerin ist Vertreterin vieler Meinungen. Sie war auch mit die erste, die mehr NATO-Präsenz an den Ostgrenzen gefordert hat. Man muss doch zur Kenntnis nehmen, dass innerhalb der Nato auch diese Interessen stark vertreten sind. Bislang ist es, auch dank des deutschen Außenministers, gelungen, diese Bestrebungen zu bremsen.

Sie haben für die Ukraine eine neutrale Rolle gefordert.
Mittelfristig dürfe die Ukraine weder der Nato noch der EU beitreten. Wer will ihr das eigentlich verbieten?

Es geht nicht um verbieten. Es geht darum eine Situation zu schaffen, in der die Ukraine wieder zu Frieden kommt und nicht zwischen zwei Akteuren zerrieben wird. Deshalb sollte sie nicht der NATO beitreten. Es wäre ein Schritt vorwärts, würden sich die Ukraine, Russland und die EU darauf einigen, eine solche Neutralität mittelfristig zu garantieren. Die Ukraine selbst ist ja tief gespalten in dieser Frage, eine solche Lösung könnte zur Einigung des Landes und zur territorialen Integrität beitragen. Ich bin für Klarheit. Die Ukraine das Recht sich mit der EU zu assoziieren, wie jedes europäische Land es hat. Wir wollen die Assoziierung. Ob es klug ist, sie dabei aber vor die Wahl zwischen Russland und Europa zu stellen, wie es Barosso tut, bezweifele ich.

Die Ukraine hat auch das Recht auf einen EU-Beitritt?

Die Kopenhagener Kriterien gelten für die Ukraine. Ob es in der jetzigen Situation hilfreich ist, über einen EU-Beitritt zu spekulieren, möchte ich dennoch bezweifeln. Ihre territoriale Integrität ist nicht gegeben,- Wegen des Machtvakuums wird an einer verbesserten demokratischen Legitimität durch Wahlen und eine Verfassung gearbeitet. Ob das gelingt ist offen. Das gilt auch für die beiden anderen Assoziierungskandidaten Georgien und Moldawien.
Assoziierung heißt nicht Beitritt. Ich würde keine falschen Erwartungen wecken. Über einen Beitritt der Ukraine, Georgiens und Moldawiens besteht keine Einigkeit innerhalb der EU. Wir sollten nur Dinge versprechen, die wir auch halten können.

Weiter schlagen Sie vor, dass im Gegenzug für einen Verzicht der Ukraine auf die Mitgliedschaft in EU und NATO die territoriale Integrität der Ukraine von den bisherigen Garantiemächten neu festgeschrieben werden soll. Soll sich die Ukraine ihre Integrität im Ernst von Russland garantieren lassen? Und gehört die Krim dann dazu oder nicht?

Die Alternative ist der Status zwischen zwei Blöcken. Das ist das historische Dilemma der Ukraine. Die Krim war ein Kern des Abkommens von 1993. Die Ukraine hat ihre Atomwaffen abgegeben und dafür von den USA, Russland und Großbritannien die Garantie ihrer territorialen Integrität erhalten. Darauf muss Russland verpflichtet werden. Wir können im Sinne von Abrüstung und Proliferation nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.

Nur, warum sollte sich die Ukraine ein zweites Mal darauf einlassen? Wir müssen doch viel mehr Russland dazu bringen, sich darauf einzulassen. Was wollen Sie der russischen Aggression entgegensetzen?

Wir müssen die Festigkeit Europas dagegen setzen. Der Ausgangspunkt dieser Auseinandersetzung war eine Softpower-Auseinandersetzung, also die Frage, welches System – Russland oder EU – eigentlich das attraktivere ist. Auf diesem Gebiet hat Russland nicht viel zu bieten. Dieser Prozess setzt sich fort. Russland ist der ökonomische Verlierer dieser Auseinandersetzung. Auch politisch wird es für die russische Führung ungemütlich, wenn die eigene Argumentation auch auf russischem Territorium angewandt würde, etwa in Dagestan oder Tschetschenien. Russland hat also ein großes Interesse daran, den Konflikt mit der Ukraine langsam zurückzufahren und einzuhegen. Europa sollte in seiner Haltung fest bleiben, die Ukraine wirtschaftliche und politisch zu stabilisieren – auch durch eine Assoziierung. Das hat ganz wenig mit der Nato und ganz viel damit zu tun, dass wir in Europa Konflikte mit Verträgen in gegenseitigem Auskommen – auch mit Russland – lösen.

Dieses Interview erschien in gekürzter Version am 21. Mai 2014 in der fr-online.

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