Rede anlässlich der Ermordung von Boris Nemzow

Aktuelle Stunde „Auswirkung der Ermordung des russischen Politikers Boris Nemzow auf die Politik Russlands“ am 04.03.2015 im Deutschen Bundestag:

Visafreiheit und Freihandel

Europas Antwort auf den Mord an Boris Nemzow

Herr Präsident,
werte Kolleginnen und Kollegen,
der Mord an Boris Nemzow ist eine menschliche Tragödie. Es war ein heimtückischer Mord. Es war ein Mord an einem Politiker, der gerade die frühen Jahre des neuen Russlands geprägt hat.  Mit allen Fehlern und Verirrungen, die in dieser Zeit das Land geprägt haben. Aber eben mit dem Mut mit einem gescheiterten System zu brechen.

Und es war ein politischer Mord, der uns fassungslos zurücklässt. Es war ein politischer Mord, weil nach allem was wir wissen, Boris Nemzow aufgrund seiner politischen Rolle, seiner politischen Überzeugungen getötet wurde. Und es bleibt die Sorge, dass eine Aufklärung auch dieses Mordes entweder ausbleiben wird oder doch zumindest viele Fragezeichen zurücklassen wird. Aber – auch das gehört zu unserer schwierigen Aufgabe – es gilt auch, dass wir nicht wissen, wer für diesen Mord verantwortlich ist.

Wir wissen aber, in welchem gesellschaftlichen Klima dieser Mord passiert ist. In Russland herrschen Desinformation und Propaganda. Es gibt Pressefreiheit nur noch auf dem Papier, kritische Medien wurden in den
letzten zehn Jahren entweder verstaatlicht, gleichgeschaltet oder so unter Druck gesetzt, dass sie schließen mussten. Versammlungsfreiheit gibt es de facto nicht, Menschen, die trotzdem unter hohem persönlichen Einsatz Demonstrationen und Kundgebungen organisieren müssen mit Einschüchterungen, Anklagen und Gefängnis rechnen – so erging es den Organisatoren des „Marsches der Millionen“ im Jahr 2012 , so
erging es Alexander Nawalnyj, der sich dem Kampf gegen Korruption verschrieben hat und  heute unter Hausarrest steht… So erging es vielen.

Wie kann es aber sein, dass in einem zunehmend unfreien Land die Zustimmung mit seinem Präsidenten bei 85% liegt? „Propaganda tötet“. Das stand auf einem der Schilder, die beim Gedenkmarsch am Sonntag, an dem sich zehntausende beteiligten, in Moskau getragen wurden. Das ist der Kern des Problems. Boris Nemzow wusste das sehr gut. „… die Zensur muss beendet werden, damit die schreckliche Propaganda aufhört. Diese Lügen haben der russischen Bevölkerung den Verstand geraubt.“ Das war eine seiner letzten Sätze, die er nur vier Stunden vor seinem Tod in einem Interview für Radio Swoboda sagte. Was heißt das für eine europäische Politik, was heißt das für eine deutsche Außenpolitik, die zu Recht in den letzten 20 Jahren betont hat, dass Russland ein Partner, kein Gegner ist? Und in der wir uns weitgehend über alle Fraktionsgrenzen einig waren, dass es Sicherheit und Frieden in Europa nur mit und nicht gegen Russland geben darf?

Es muss für uns heißen, dass wir an diesen Grundsätzen festhalten müssen. Wir müssen die Tür offenhalten – und dürfen gleichzeitig nicht aufhören, das Fehlen von Freiheit und Demokratie zu kritisieren. Die innenpolitische Stärke von Wladimir Putin basiert auf einem Konstrukt „Wir gegen die“. Sie basiert auf einer Erzählung von einer Russland angeblich einkreisenden NATO – obwohl er höchstpersönlich der NATO-Osterweiterung um die baltischen Staaten zugestimmt hat. Sie basiert auf einer Erzählung „wir gegen den Westen“, der angeblich Russland nicht ernstnimmt und ablehnt. Dagegen gibt es eine einfache Antwort: Schaffen wir die Visapflicht für russische Staatsbürger ab! Laden wir die Menschen Russlands ein, erzählen wir ihnen unsere, europäische Geschichte.

Nehmen wir Wladimir Putin die Argumente für seine Erzählung aus der Hand. Und wir dürfen uns nicht auf eine Logikvon Abschottung einlassen. Wir haben kein Interesse an einem wirtschaftlich ruinierten Russland. Ein ökonomisches Wettrüsten liegt nicht im Interesse Europas. 145 Millionen Menschen, die den europäischen Westen für ihre wirtschaftliche Misere verantwortlich machen und sich auch noch von ihm mindestens nicht ernstgenommen, wenn nicht bedroht fühlen? Vor unserer Haustür? Das kann kein Ziel vernünftiger Außenpolitik sein! Darum ist es richtig, wenn die Bundesregierung mit Russland über eine Freihandelszone reden will. Es darf kein Die oder Wir geben! Diesen Fehler hat der ehemalige EU-Präsident Barroso schon bei der Ukraine gemacht. Diesen Fehler macht die EU-Handeslkommissarin Malmström, wenn sie Handel ausklammern will, Wir dürfen diesen Fehler nicht wiederholen. Aber es ist auch klar: Freihandel funktioniert nur es nur in Ländern, in denen die Herrschaft des Rechts gilt. In denen demokratische Mindeststandards gelten und in denen Freiheit kein Fremdwort ist.

Beides – Offenheit und die Festigkeit in unseren Werten, das muss die Botschaft an Russland, das muss die Botschaft an die Menschen in Russland sein.

Eine Aufzeichnung der Rede finden Sie hier:

 

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