Chancen und Hindernisse einer rot-grün-roten Außen- und Sicherheitspolitik
Deutschland im Jahr 2015. Während in der Ukraine aus einem heißen Krieg in Europa kaum ein frozen conflict werden will, von Libyen über Somalia bis zu Syrien und dem Irak Staatszerfall und islamistischer Terror vordringen und neue Flüchtlingsströme nach Europa schicken, während in Europa ein erbitterter Kampf zwischen Austerität und Investition ausgefochten wird, lebt Deutschland im Biedermeier 2.0. Zwar wird in seinen Eliten seit einem Jahr ein Diskurs zu Deutschlands Verantwortung in der globalisierten Welt geführt, doch in Wahrheit ist das Land sich selbst genug.
20 Monate nach der Bundestagswahl haben sich die Umfragewerte der Parteien kaum geändert. Zehn Jahre nach dem Beginn ihrer Kanzlerschaft regiert Angela Merkel Deutschland unangefochten. Als Alternative zur wahrscheinlichen Fortsetzung der Großen Koalition 2017 erregt noch Schwarz-Grün gewisse Aufmerksamkeit. Aber eine Bundesregierung ohne ihre CDU? Unvorstellbar.
Umso größer war die Aufregung, als genau das in Thüringen geschah. Der erste Ministerpräsident der Linken mit seiner rot-rot-grünen Koalition erzeugte wütende Reaktionen, die sich aus der Begrenztheit von Landespolitik nicht erklären lassen. Die aggressive Kampagne der CDU dagegen transportierte vor allem ihre Furcht, dass Rot-Rot-Grün (R2G) auf Bundesebene ein Ende des Dauerabos der Union auf die Regierung sein könnte.
Doch wie realistisch ist der Grund für diese angstgetriebene Reaktion? Nach der Einführung des Mindestlohns, dem Verfassungsgerichtsurteil zu Hartz IV und der Rente mit 63 dürfte sich zwar das zentrale Konfliktpotenzial zwischen den beiden roten Parteien gemindert haben. Doch da gibt es noch die Außen- und Europapolitik. Ungeachtet des inzwischen von allen Parteien gewollten Abzugs aus Afghanistan und der Allparteiengegnerschaft zur Intervention in Libyen wird sie als die größte Hürde für R2G angesehen. In einer Welt, in der sich Krisen und Konflikte längst globalisiert haben und Deutschland und die EU sich ihrer globalen Verantwortung stellen müssen, ist dies keine triviale Frage. Ihre Beantwortung ist für das Zustandekommen und den Bestand einer rot-grün-roten Bundesregierung von zentraler Bedeutung.
Zwar wird das weitgehend geschlossene Vorgehen von Kanzlerin und Außenminister in der Ukraine-Krise auch von Teilen der Opposition mitgetragen. Doch daneben herrscht in der Großen Koalition reichlich Streit, von der Frage der Federführung in der Sicherheitspolitik zwischen Außen- und Verteidigungsministerium bis zum Streit zwischen Euro-Befürwortern und -gegnern innerhalb der Union. Eine Begrenzung von Rüstungsexporten, ein Ende der paternalistischen Austeritätspolitik, eine ambitionierte Klimapolitik und der Kampf gegen Ungleichheit bräuchten also dringend andere Mehrheiten. Woran also scheitert eine rot-grün-rote Außen- und Sicherheitspolitik? Gibt es die Chance auf eine neue Friedenspolitik?
In der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland gibt es einen breiten Konsens, der für alle drei Parteien als Grundlage ihres außen- und sicherheitspolitischen Handelns dienen könnte und sollte. Dazu gehören: die unwiderrufliche Einbindung Deutschlands in die Europäische Union; die Freundschaft zu den USA, ein enges transatlantisches Verhältnis und die Mitgliedschaft in der NATO; ein kooperatives und nicht konfrontatives Verhältnis zu Russland; die Anerkennung und Verteidigung des Existenzrechts Israels und die Verantwortung für eine Friedenslösung in Nahost; das Friedensgebot des Grundgesetzes und die Verpflichtung auf das Völkerrecht sowie das Primat der Vereinten Nationen und eine Politik der Multilateralität.
Dieser Konsens ist die Konsequenz aus der deutschen Verantwortung für zwei verheerende Weltkriege, entstanden unter den Bedingungen der Bipolarität und Folge ihrer Überwindung. Dieser Konsens als Handlungsgrundlage für eine operative Außen- und Sicherheitspolitik bedarf einer Feinjustierung. Es gilt, Antworten auf neue globale Risiken und die Interessen neuer Akteure – ökonomisch, politisch und militärisch – zu geben. In einer multipolaren Welt ist effektiver Multilateralismus eher methodischer Anspruch als tägliche Praxis.
Herausforderungen einer neuen Friedenspolitik
Der fortschreitende Klimawandel, die verschärfte Rohstoffkonkurrenz, die wachsende Ungleichheit und die Verbreitung von Waffen sind die größten Risiken, die den Frieden und die Sicherheit in der Welt bedrohen. Aus dem sich gegenseitig verstärkenden Zusammenwirken dieser Risiken entstehen Staatszerfall und Kriege – manifeste Gefahren für die Sicherheit nicht nur von Europa, wie ein Blick auf die Karte internationaler Krisenherde zeigt. Kein Land kann diesen Risiken allein begegnen. Es bedarf internationaler Kooperation und kohärenter Politikansätze. Deutschland als viertgrößte Volkswirtschaft der Welt, wirtschaftlich stärkste Macht in der EU und drittgrößter Waffenexporteur der Welt muss seiner Verantwortung für die globale Sicherheit gerecht werden.
Das haben wir nie so deutlich gesehen wie in diesen Tagen. Sei es der Russland-Ukraine-Konflikt direkt vor der Haustür Europas, das unmenschliche Wüten des IS im Nordirak und in Syrien, der anhaltende Bürgerkrieg in Syrien, der Nahostkonflikt oder die gewaltsamen Konflikte in Mali, Libyen, Nigeria, der Zentralafrikanischen Republik und im Sudan – Krieg und Leid bestimmen die tägliche Agenda. Hier liegen die Herausforderungen einer neuen Friedenspolitik.
Außen- und Sicherheitspolitik als Friedenspolitik bedeutet, Krisen gar nicht erst entstehen zu lassen. Wir müssen verhindern, dass der Klimawandel weiter zu Dürren und Überschwemmungen und damit zu Hunger und Vertreibung führt. Wir müssen verhindern, dass Menschen ausgegrenzt und nicht am Wohlstand und politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen beteiligt werden. Wir müssen verhindern, dass Krisen und Konflikte durch die Lieferung von Waffen und Rüstungsgütern noch angeheizt werden und Staaten zerfallen. Wir müssen verhindern, dass ein ungerechtes Finanz- und Steuersystem nur einige wenige begünstigt und zu einem Auseinanderfallen unserer Gesellschaft führt. Und wir müssen den Nachfragedruck auf Energieressourcen mindern. Klimawandel und Ungleichheit zu bekämpfen, ist aktive Krisenprävention und der Schlüssel zu Frieden und globaler Sicherheit. Für jede der drei Parteien von R2G erfordern die neuen Herausforderungen eine Überprüfung und Neujustierung ihrer Außenpolitik auf der Grundlage des Konsenses dieser. Eine Regierungskoalition aus Rot-Grün-Rot kann nur tragfähig und erfolgreich sein, wenn sich alle den Herausforderungen neuer globalisierter Risiken stellen.
Dem Primat der Vereinten Nationen und der Multilateralität gerecht zu werden, verlangt, dass man zu seinen Verpflichtungen steht. R2G muss die Politik des Wortbruchs Deutschlands gegenüber der Welt beenden.
So hat Deutschland 2006 bei den G8 zugesagt und sich in Europa verbindlich verpflichtet, im Jahr 2015 mindestens 0,7% seines Bruttoinlandsprodukts für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA) auszugeben. Aktuell gibt Deutschland mit 10,6 Milliarden Euro gerade einmal 0,38% hierfür aus. Der Stillstand unter der Großen Koalition »made in Germany« hat das Ziel 2015 verfehlen lassen. Nun will die Koalition diesem Ziel durch 8,3 Mrd. € zusätzlich bis 2019 näher kommen. Dieses dient aber vor allem der Kaschierung einer massiven Aufrüstung der Bundeswehr und zusätzlich 8 Mrd. € im Verteidigungshaushalt.
Die Erhöhung der Rüstungsausgaben auf 2 % des BIP folgt mit ihrer Fokussierung auf schweres Gerät einer mit dem Ukraine-Konflikt behaupteten Renaissance symmetrischer Konflikte. Sie ist eine doppelt falsche Priorität. Sie gibt die falschen Antworten auf die Risiken und sie bindet Mittel, die dringend anderswo benötigt werden. Eine Verdoppelung der Investitionen in Klimaschutz und zur Bekämpfung der globalen Armut wäre praktizierte deutsche Verantwortung in einer globalisierten Welt, es wäre aktive Krisenprävention. Ein ODA-Aufholplan zur Erreichung des 0,7-%-Ziels innerhalb einer Legislaturperiode ist keine Banalität. Er geht mit massiven Ziel- und Verteilungskonflikten einher. Die »schwarze Null« der Großen Koalition wurde nämlich nicht nur zu Lasten der Sozialversicherungen erzielt, sondern auch, indem der Welt 10 Milliarden Euro deutscher Entwicklungszusammenarbeit vorenthalten wurden. Wir müssen internationale Versprechen einhalten und unseren finanziellen Beitrag leisten. Zu dieser Haushaltspriorität müssen aber alle drei Parteien bereit sein. Die SPD hat gerade diesen Aufholplan nicht zur Priorität in der Großen Koalition gemacht.
Deutschland ist als Pol zu klein, um all den Herausforderungen der Welt allein zu begegnen. Deshalb ist eine kohärente und effektive EU-Außenpolitik in unserem ureigenen Interesse. Derzeit kommt es in wichtigen außenpolitischen Entscheidungen der EU nicht selten zu Blockaden. Um diese aufzulösen, brauchen wir die Mehrheitsentscheidung im Rat.
Wenn die großen Herausforderungen in der Regel nicht primär militärisch gelöst werden können und Prävention und Nachsorge um Good Governance eine immer wichtigere Rolle spielen, verschieben sich die Gewichte zwischen den außenpolitischen Instrumentenkästen. Für zivil-militärische Missionen und State Building verfügt die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union über die geeigneteren Mittel als etwa die NATO, die hier völlig blank ist. Die EU hat auch die bessere Möglichkeit der demokratischen Legitimation. Sie müsste dem Europäischen Parlament jene umfassenden Rechte geben, die sich der Deutsche Bundestag für den Einsatz der Bundeswehr im nationalen Rahmen gesichert hat – dann wäre übrigens auch eine europäische Armee eine echte Perspektive.
Nur eine demokratisch legitimierte und kontrollierte EU ist auch nach außen stringent und handlungsfähig. Hier muss vor allem DIE LINKE an einer Neujustierung ihrer Positionen arbeiten. Ein starkes und unwiderrufliches Bekenntnis zu Europa ist die Voraussetzung für eine funktionierende Zusammenarbeit mit SPD und Grünen. Dieses Bekenntnis muss aber auch den Willen zu einer Übertragung von Kompetenzen von nationaler auf EU-Ebene nach sich ziehen. Ein bisschen Europa gibt es nicht.
Das gilt auch für die Wirtschafts- und Finanzpolitik wie die globale Handelspolitik. Die Botschaft der griechischen Wählerinnen und Wähler ist eindeutig – eine Sparpolitik, die nicht spart, sondern die Staaten in immer größere Schulden, soziale Spaltung, Elend und Arbeitslosigkeit treibt, hat keine demokratische Legitimation mehr. Die Wahlen in Spanien, wo PODEMOS die Nase vorn hat, und Portugal, wo sich die Rückkehr der Sozialisten abzeichnet, dürfte die der EU von Deutschland aufgezwungene Austeritätspolitik weiter unter Druck bringen.
Für die Parteien von R2G ist das eher Auftrag als Herausforderung. Der Auftrag der Menschen im Süden an die fortschrittlichen Kräfte in Deutschland lautet: Beendet die Austerität. Das ist eine Aufforderung an die SPD, sich nicht in der Großen Koalition einzurichten. Es wirft nachdrücklich die Frage auf, ob Grüne in einem schwarz-grünen Bündnis die Kraft hätten, die Hegemonie der Austerität, die den Diskurs des offenen Neoliberalismus abgelöst hat, tatsächlich zu durchbrechen. Dies war einer der drei Punkte, an denen die schwarz-grünen Sondierungen 2013 scheiterten.
Vor allem aber ist die Botschaft der Menschen aus dem Süden eine Mahnung an die Linkspartei, sich vom Kurs der bloßen Opposition zu verabschieden und so das Dauerabonnement der CDU auf die Kanzlerschaft zu beenden.
Damit aber beginnen die Probleme erst. Natürlich gibt es nach dem Scheitern jahrzehntelanger WTO-Verhandlungen und angesichts der Rolle und Stärke Asiens für Europa und die USA überragende geostrategische Gründe für ein Freihandelsabkommen. Diese sind so überragend, dass auch der Verzicht auf regulatorische Kooperation und Investor-Staat-Schiedsverfahren an ihnen nicht scheitern würde. Das aber setzt europäische Allianzen voraus. Im Alleingang, auch des wirtschaftlich stärksten Landes, wird diese Auseinandersetzung nicht zu gewinnen sein. Es geht um mehr und bessere globale Governance im Welthandel und nicht ums Chlorhühnchen. Bessere globale Governance wird es nicht geben, wenn demokratische Governance geschwächt und künftige Regulierung erschwert wird. Das Primat der Demokratie über den Markt muss gestärkt werden.
Restriktive Rüstungsexportpolitik und das Primat der Vereinten Nationen
Kanzlerin Merkel erklärte 2011, dass die Staaten, die bereit seien, sich zu engagieren, auch dazu befähigt werden müssten. »Das schließt auch den Export von Waffen mit ein,« sagte sie. Übersetzt heißt das: Wir schicken Waffen statt Soldaten. Nur ist das einzig Klare an den Kriterien für deutsche Waffenexporte ihre Beliebigkeit. High-Tech-Waffen und Panzer gingen an Saudi-Arabien, das sich nicht nur an der militärischen Niederschlagung einer Volksbewegung in Bahrein beteiligte, sondern mit seinen Körperstrafen und Enthauptungen Folie und Vorbild für den Schrecken des IS geliefert hat. Der angeblich verlässliche Bündnispartner Katar erhielt trotz seiner Nähe zu den islamistischen al-Nusra-Brigaden und der Finanzierung der Moslembrüder wie der Hamas Panzer.
Das Hochrüsten von tagesaktuell verbündeten Despotien kann nicht die Konsequenz aus dem Scheitern einer Reihe von militärischen Interventionen der letzten zehn Jahre sein. Das Problem der meisten Krisen- und Konfliktregionen sind nicht zu wenige Waffen, im Gegenteil. Immer mehr Waffen und Rüstungsgüter führen zu größerer Gewalteskalation und noch mehr Opfern. Außerdem gibt es keine vollständige Kontrolle über den Verbleib dieser Waffen. Nicht selten fallen sie in die falschen Hände. Das konnte man in der Vergangenheit an den aus Deutschland stammenden G36-Gewehren sehen, die bei Gaddafis Truppen in Libyen gefunden wurden. Auch im Falle der Lieferung von deutschen Waffen an die Peschmerga in den Nordirak hat die Bundesregierung keine Kenntnisse über den genauen Verbleib dieser Waffen.
Aus diesem Grund brauchen wir ein restriktives Rüstungsexportgesetz, das Waffenlieferungen in Krisengebiete generell untersagt und dem Parlament ein größeres Informations- und Kontrollrecht zuspricht. Außerdem muss Deutschland aktiv für die Durchsetzung einer Kleinwaffenkonvention eintreten. Über Rüstungsexporte sollte zudem im Auswärtigen Amt und nicht im Bundeswirtschaftsministerium entschieden werden. Hier muss vor allem die SPD ihre Position hinterfragen und neu justieren. Obwohl sich auch die SPD bislang zu einer restriktiveren Rüstungsexportpolitik bekannt hat, gehen auch unter Minister Gabriel noch die meisten Rüstungsgüter an Drittstaaten. Ein Schwanken zwischen der Forderung nach einer restriktiven Rüstungsexportpolitik und dem Hochhalten der Arbeitnehmerrechte in der Rüstungsindustrie schadet dem Anliegen einer neuen Friedenspolitik.
Die Vereinten Nationen (VN) müssen Rahmen und politische wie rechtliche Grundlage für multilaterales Handeln sein. Ein Lippenbekenntnis zu den VN reicht nicht. Das bedeutet, dass sich eine rot-grün-rote Bundesregierung für eine Reform der VN hinsichtlich ihrer Zusammensetzung und Entscheidungsfähigkeit einsetzen muss. Das ist keine Absage an das Engagement in den G20 oder den Bretton-Woods-Institutionen wie IWF und Weltbank. Gerade ökonomische und finanzpolitische Entscheidungen bedürfen der Abstimmungen zwischen den großen Volkswirtschaften – sie müssen aber zurückgeführt werden in den Rahmen der Vereinten Nationen. Dafür aber müssen die BRICS-Staaten in IWF und Weltbank endlich die Stimmrechte bekommen, die ihrem ökonomischen Gewicht und ihrer Verantwortung entsprechen. Der Aufbau konkurrierender Finanzinstitutionen für Schwellenländer ist nicht im Interesse Europas.
Die Kernaufgabe der Vereinten Nationen, »Weltfrieden und internationale Sicherheit zu wahren« (UN-Charta), muss die oberste Leitlinie einer Außen- und Sicherheitspolitik von R2G sein. Sie wird ihr Engagement für die und in den Vereinten Nationen massiv ausbauen müssen. Und zwar sehr handfest. Hierzu zählen nicht nur eine Vorreiterrolle bei der Bekämpfung globaler Ungleichheit und des Klimawandels sowie die Einhaltung der dafür gemachten Zusagen. Hier ist vor allem ein stärkeres Engagement im Bereich der Friedenssicherung gefragt.
Die Erfahrungen von mehr als einem Jahrzehnt militärischer Interventionen, an denen sich Deutschland beteiligt hat, lassen sich wie folgt zusammenfassen: Es gibt keine kurzfristigen Lösungen – sie dauern mindestens zehn Jahre länger als sie mediale Aufmerksamkeit erheischen. Interventionen scheitern nicht an den militärischen Fähigkeiten, sondern an fehlenden politischen Perspektiven und ungenügender ziviler Unterstützung bei Staatenbildung und Entwicklung. Und sie scheitern an fehlender Legitimierung und Ownership.
Interventionen ohne eine politische Nachfolgelösung vergrößern die Probleme, seien sie gegen das Völkerrecht wie im Irak oder mit einem Mandat des Sicherheitsrats erfolgt wie in Libyen. In beiden Fällen stehen wir vor einer katastrophalen Destabilisierung ganzer Regionen.
Positiv gesprochen hat Friedenssicherung nur dann eine Chance, wenn sie den Dreiklang von Sicherheit, Entwicklung und Menschenrechten wahrt. Hieraus folgt, dass Interventionen nicht gleich Interventionen sind. Es ist ein riesiger qualitativer Unterschied, ob die UN zusammen mit der Afrikanischen Union versucht, zu verhindern, dass die Zentralafrikanische Republik zur Beute krimineller Banden wird, oder ob die USA im Irak gegen das Votum des Sicherheitsrates intervenieren. Diese Differenzierung ist wohl die größte Herausforderung, vor der die Linkspartei steht.
Aber auch sie kann sich der Tatsache nicht entziehen, dass es die Vereinten Nationen sind, die heute die zweitgrößte Anzahl von Truppen im Auslandseinsatz hat – und das nicht als Folge von Interventionswut, sondern aufgrund der Globalisierung von Krisen und Staatszerfall. Und schon heute zahlt Deutschland jeden dieser Einsätze zu gut 7%. Wer nicht dabei sein will, müsste logischerweise aus den Vereinten Nationen austreten. Wer das nicht will, sollte alles dafür tun, dass diese friedenserhaltende Aufgabe besser und effektiver durchgeführt wird. Die Haltung »Die Deutschen zahlen und Bangladeschis halten den Blauhelm hin« ist das Gegenteil internationaler Verantwortung, sondern fällt eher in die Kategorie »Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass«.
Die Vereinten Nationen sind der geeignetste Ort für die Legitimierung multilateralen Handelns. Deshalb muss Deutschland auch einen Beitrag hierzu leisten – finanziell, aber auch mit deutlich mehr Personal, zum Beispiel für internationale Polizeimissionen. Auch die Bundeswehr muss für die Teilnahme an VN-geführten Missionen besser und effizienter aufgestellt werden. Dies setzt den Abschied von der Konzeption der klassischen Territorialverteidigungsarmee voraus – eine Idee, mit der die SPD noch hadert.
Wenn ich dafür plädiere, dass sich Deutschland mit seinen Fähigkeiten aktiver an UN-Friedensmissionen beteiligt, aber sich auf die Teilnahme an Operationen mit eindeutiger Legitimierung durch den Sicherheitsrat beschränkt, so liegt darin auch ein begrenzender Faktor. Es darf keine Interventionen mehr ohne Mandat der Vereinten Nationen geben – und diese sollten in der Regel unter dem Kommando der VN erfolgen. Ein solches Mandat wäre im aktuellen Fall der internationalen Ausbildungsmission im Nordirak notwendig gewesen. Dass ein Außenminister der SPD sich an dieser Stelle nicht gerade für ein VN-Mandat verkämpft hat, ist eine schlechte Botschaft.
Aber auch in anderer Weise limitiert die strikte Bezugnahme auf den VN-Rahmen außenpolitische Ansätze. Etwa bei den Grünen und den Sozialdemokraten, die aus dem Kampf für Menschenrechte eine größere Bereitschaft zu Interventionen herleiten. Ihr Motiv teile ich. Nur wenn aus diesem gesinnungsethischen Ansatz ein verantwortungsethisches Handeln folgen soll, dann gelten die Limitierungen von Interventionen auch für diese gut gemeinten Motive.
Die eindeutige Legitimierung durch den Sicherheitsrat, die Umsetzung im Rahmen der VN, ein politisches Konzept für die Konfliktlösung und die Fähigkeit, eine solche Mission auch über ein Jahrzehnt mit den notwendigen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Mitteln auszustatten, müssen die limitierenden Kriterien für internationales Eingreifen sein. Auch die Frage der Leistbarkeit ist eine Kategorie verantwortungsethischen Handelns.
Außen- und Sicherheitspolitik muss sich mit einer »umfassenden Globalisierung« (Dirk Messner) auseinandersetzen. Sie ist schon lange keine bloß wirtschaftliche mehr. Krisen und Kriege haben sich ebenso globalisiert wie die natürlichen Grenzen des Planeten, die Informationsgesellschaft und kulturelle Haltungen. Und in ihr ist Deutschland, neben den USA und China, »aufgrund seiner ökonomischen Leistungsfähigkeit, seines geschätzten Gesellschaftsmodells und seiner Rolle als Klima- und Energiewendepionier das potenziell einflussreichste Land in der Weltpolitik« (Andrew Cooper). Gerade eine Regierung der linken Mitte wird sich davor nicht wegducken können. Es wird sie nur geben mit dem Mut zu einer neuen Friedenspolitik.
Dieser Beitrag ist im Mai 2015 in den Frankfurter Heften erschienen.
Foto: sari_dennise; Creative Commons
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