Europa – mehr als eine Freihandelszone
Nur fairer Handel ist freier Handel – Rede beim Europafest der Grünen Pankow am 9. Mai 2015
Liebe Freundinnen und Freunde,
lieber Stefan, lieber KV Pankow vielen Dank für die Einladung zum Europa-Fest.
Wir Grünen sind die Europa-Partei
Heute – 70 Jahre – nach der Befreiung Europas vom Faschismus blicken wir auf Jahrzehnt des Friedens zurück. Das gemeinsame Europa ist das größte Friedensprojekt auf diesem Kontinent.
In meiner Jugend kämpften wir noch gegen faschistische Franco-Diktatur in Spanien, den Kolonialkrieg Portugals in Afrika, gegen die Militärdiktatur in Griechenland. Und Damals mussten streikende Werftarbeiter der Solidarnosc in Danzig den Einsatz des Militärs fürchten.
Ohne die Perspektive des gemeinsamen Europas wären diese autoritären Ver-hältnisse im Westen wie im Osten nicht überwunden worden.
Das gemeinsame Europa ist das größte Demokratieprojekt auf unserem Kontinent. Darum feiern wir heute den Europatag.
Europa in Gefahr
Wie konnte Europa zu einer Kraft des Friedens und der Demokratie für 500 Millionen Menschen werden – nach Jahrhunderten des Krieges?
Am Anfang stand die Idee, die Volkwirtschaften so miteinander zu verflechten, dass sie kein Interesse mehr hatten, gegen einander Krieg zu führen.
Aber Anfang stand auch der Kampf darum, die Grenzen zwischen den Staaten einzureißen. In der Gründungsurkunde Europas steht die Idee der Freizügig-keit.
Aber dieses Europa wurde nur zu diesem Erfolgsprojekt, weil es mehr Gemein-samer Markt und Freizügigkeit war.
Europa baut auf der Herrschaft des Rechts, auf Grundrechten auf – und es war ein Versprechen auf Teilhabe der Menschen an der Gesellschaft wie am Wohlstand.
Dieses gemeinsame Europa ist heute in Gefahr.
– Es ist in Gefahr, wenn die Schwesterpartei der CDU in Ungarn – die Fidesz – wieder die Todesstrafe einführen will und in einer Volksbefragung of-fen gegen Migranten hetzt.
– Es ist in Gefahr, wenn Demokraten – wie jetzt in Finnland – Europafein-den und Rechtspopulisten an die Macht verhelfen. Anstatt sie wie in Schweden auszugrenzen.
– Es ist in Gefahr, wenn der britische Premier David Cameron Europa zu einer reinen Freihandelszone zurück entwickeln will – auf der aber die Ware Arbeitskräfte nicht länger frei gehandelt werden darf.
– Europa ist in Gefahr, wenn wie in Spanien, Portugal, Griechenland die Hälfte einer Generation durch Arbeitslosigkeit aus der Gesellschaft aus-gegrenzt wird. Und Deutschland dazu nur noch mehr Austerität und noch mehr Schulden einfällt.
Wir Grünen streiten für ein Europa der Menschenrechte, der Demokratie und ein Europa der Teilhabe. Das geht nur mit einem Ende der Austerität und mehr Investitionen in Klima und Bildungsgerechtigkeit. Mit einem europäischen Green New Deal.
Freihandel gegen Demokratie?
Dieses Europa hätte in einer globalisierten Welt eine riesige Chance. Es könnte seine Erfahrungen einbringen und damit Standards für den Welthandel setzen – ökologische, soziale, rechtsstaatliche Standards.
Warum protestieren wir Grüne heute gegen die aktuellen Verhandlungen zu einem Transatlantischen Investions- und Handelabkommen – gegen TTIP?
Wir sind dabei nicht alleine. Die Zivilgesellschaft in Europa hat gegen die Freihandelsabkommen mobilisiert. Tausende sind alleine im letzten Monat auf die Straße gegangen. Über eine Million haben eine europäische Bürgerinitiative gegen TTIP unterschrieben.
Warum? Weil wir alle gegen Freihandel sind? Nein. Aber wir wissen:
Nur fairer Handel ist freier Handel.
Kein race to the bottom!
Wir kämpfen gegen TTIP und CETA weil diese Abkommen vieles bedrohen, was wir mühsam erkämpft haben. Umwelt- und Klimaschutz, Rechte für Ver-braucherinnen und Verbraucher und Rechte für Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmern.
Anstatt soziale und ökologische Standards auf beiden Seiten des Atlantiks zu stärken droht mit TTIP ein Rennen um die niedrigsten Standards.
Das wird es mit uns Grünen nicht geben!
Ein Vertrag von der Lobby für die Lobby
Das hat auch mit der Art der Verhandlungen zu tunt. Dass ökologische und so-ziale Standards zu ärgerlichen Handelshemmnissen uminterpretiert werden ist nicht überraschend. Denn die Großkonzerne, die es kaum erwarten können, unliebsame Regulierungen wegzuklagen, sitzen mit am Verhandlungstisch.
Ein Blick auf die Verhandlungsteilnehmerinnen und Verhandlungsteilnehmer zeigt, welche Interessen bei den Treffen in Brüssel und Washington im Mittel-punkt stehen. Ob Automobil- und Chemieindustrie oder Bankensektor, die Teil-nehmer haben besorgniserregend oft direkte Verbindungen zu den Branchen, die sie nun eigentlich mitregulieren sollen.
So beispielsweise der EU-Verhandler für den Bereich Kosmetika. Sein früherer Job? Produktmanager bei L’Oreal.
Herrschaft des Rechts oder private Geheimjustiz
Und sie wollen einen zentralen europäischen Wert aushebeln. Die Herrschaft des Rechts. EU-Kommission und Bundesregierung tun so, als sei der europäische Rechtsstaat auf dem Niveau von China.
Deshalb wollen sie eine private Geheimjustiz für Großkonzerne einführen, vor der Demokratien verklagt werden können.
In undurchsichtigen Hinterzimmer-Tribunalen sollen Konzerne Staaten auf Mil-liarden-Strafen verklagen können, wenn sie ihre Gewinninteressen durch de-mokratische Gesetzgebung gefährdet sehen.
Die Richter in solchen Verfahren sind nicht unabhängige Experten, sondern Anwälte, die sonst von Aufträgen aus der Wirtschaft leben. Von Aufträgen der Großkonzerne, über deren Klagen sie urteilen sollen. Das hat mit rechtsstaat-lichen Gerichten, wie wir sie in der EU und den USA kennen, nichts zu tun.
Unter einer solchen Regelung verklagt gerade zum Beispiel der Energiekonzern Vattenfall die Bundesrepublik Deutschland wegen des Atomausstieges auf 4,7 Milliarden Euro.
Italien hat übrigens wegen der Schiedsgerichte nun seine Mitgliedschaft in der Energiecharta gekündigt. Ich finde wir sollten das auch machen.
Stattdessen mutiert unser Wirtschaftsminister und SPD-Vorsitzender Sigmar Gabriel vom Harzer Roller zum Papagei des Bundesverbandes der Deutschen Industrie.
Er vergisst dabei, dass die mittelständische Wirtschaft, die in Sonntagsreden immer schwer gelobt wird, schwer gegen private Schiedsgerichte ist.
Die geheimen Schiedsgerichte sind ein Demokratiehemmnis und haben in Freihandelsabkommen nichts verloren!
Chancen für ein race to the top
Europa muss für möglich für Freihandel und Rechtsstaat eintreten. Wir brau-chen ein Abkommen, dass ökologische und soziale Standards erhöht, statt sie zu senken. Wir Europäer könnten dabei auch Einiges von Amerika lernen. Zum Beispiel in Fragen der Finanzmarktregulierung oder bei Sammelklagen von Verbrauche-rinnen und Verbrauchern gegen Unternehmen.
Freihandel könnte für einen einfacheren Marktzugang für kleine und mittlere Unternehmen sorgen und neu entwickelnde Normen, zum Beispiel im Zu-kunftsbereich der Erneuerbaren Energien bewerben. Bei richtiger Ausgestal-tung könnte eine enge transatlantische Zusammenarbeit positive Impulse für den Klimaschutz setzen.
Aber anstatt auf diese Vorschläge einzugehen, mauern sich EU-Kommission und Bundesregierung mitsamt den Lobbyverbänden ein.
Europa ist mehr als Freihandel. Nur fairer Handel ist freier Handel. Dafür braucht es hohe soziale und ökologische Standards. Dafür braucht es starke Demokratie. Dafür muss Europa streiten – nicht nur am Europatag.
Vielen Dank.
Rede als PDF: Europa ist mehr als eine Freihandelszone
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