G20: Krisengipfel versus Gipfelroutine

Am 15. und 16. November 2015 fand im türkischen Belek, in der Nähe von Antalya, der zehnte G20-Gipfel statt. Im Vorfeld hatte es kaum Aufmerksamkeit für das Treffen gegeben. Doch nach den schrecklichen Terroranschlägen von Paris stand der Gipfel der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer plötzlich im Zentrum der Öffentlichkeit.

Die demonstrative Einigkeit in der Terrorismusbekämpfung erstreckte sich nicht über die gesamte Tagesordnung. In der Klimafrage konnten die G20-Staaten sich nur nach langen Verhandlungen dazu durchringen, das 2-Grad-Ziel in der Abschlusserklärung zu bekräftigen. Die Themen Überprüfungsmechanismus und Klimafonds mussten ausgeklammert werden. Damit geht von dem Gipfel in Belek kein gutes Signal für die anstehende Klimakonferenz in Paris aus.

Deutschland hat sich für das Wahljahr 2017 den Vorsitz der G20 gesichert. Sollte sich Angela Merkel für eine weitere Amtszeit bewerben, wird sie den Gipfel in erster Linie zur Wahlkampfveranstaltung für sich und die Union missbrauchen.

VEREINT GEGEN DEN TERRORISMUS

Unter dem Eindruck der Anschläge in der französischen Hauptstadt demonstrierten die G20 Einigkeit. Sie setzen ein Zeichen, auch gegen populistische Rufe nach Renationalisierung. Gemeinsam verurteilten sie die Angriffe als „unacceptable affront to all humanity“ (deutsch: inakzeptabler Affront gegen die gesamte Menschheit). Nur gemeinsam lässt sich der Islamische Staat wirksam bekämpfen. In diesem Sinne wurde eine Reihe von Anti-Terror-Maßnahmen beschlossen – von Bestimmungen gegen Terrorfinanzierung bis hin zu verstärkter Kooperation der Geheimdienste. Diese Maßnahmen werden sich nur dann umsetzen lassen, wenn sie von allen G20-Staaten getragen werden. Und wenn die G20 auf ihre Verbündeten einwirken. Die große Herausforderung der nächsten Wochen liegt darin, die spontane Solidarität in langfristiges Engagement zu übersetzen – und sicherzustellen, dass dieses Engagement rechtsstaatlich ist.

Der Gipfel in Belek bot auch die Gelegenheit, die vorangegangene zweite Runde der Wiener Syrien-Konferenz nachzubereiten. Die TeilnehmerInnen bekannten sich zu dem dort vereinbarten Fahrplan für einen politischen Prozess und bekräftigten die Rolle der Vereinten Nationen. Dass sie es damit auch wirklich ernst meinen, müssen die UN-Sicherheitsratsmitglieder unter den G20 noch beweisen und sich endlich auf ein UN-Mandat für Syrien einigen.

Einigkeit herrschte auch bei dem Thema Flucht. Die G20 erklärten in ihrem Abschlusscommuniqué, flüchtende Menschen künftig besser schützen und unterstützen zu wollen. Die Flüchtlingskrise wurde als „globale Herausforderung“ bezeichnet. Dabei wurde auch die Frage nach den Ursachen angesprochen und die Bedeutung von Entwicklungszusammenarbeit herausgestellt. Auch hier werden die G20 Staats- und Regierungschefs die Gipfel-Prosa zu Hause gegen OpportunistInnen und rechte HetzerInnen umsetzen müssen.

GIPFELROUTINE

Die terroristische Bedrohung hat die anderen Themen der G20-Agenda zwar überschattet. Doch Gipfel sind auch Routineveranstaltungen. Neben Terrorismus und Flucht wurde wie vorher vereinbart auch über Wachstum, Bankenregulierung, Steuertransparenz und Klimaschutz verhandelt.

Das beschlossene Programm gegen Steuerschlupflöcher zum Beispiel ist ein Anfang. Oxfam hatte „Steuerflucht und Steuervermeidung“ im Vorfeld als wesentliche Gründe für die wachsende Ungleichheit genannt. Bereits jetzt wird kritisiert, dass die Entwicklungsländer, die besonders unter den Steuertricks leiden, in dem Plan nicht ausreichend berücksichtigt werden. Immerhin lässt die Abschlusserklärung der G20 erkennen, dass die Industrie- und Schwellenländer endlich zu der Einsicht gelangt sind: Ungleichheit ist ein Instabilitätsfaktor und Wachstumshemmnis.

Außerdem wurde eine verschärfte Bankenregulierung beschlossen. Dem wachsenden Einfluss der Schattenbanken hatten die G20 allerdings wenig entgegenzusetzen.

 

Foto: Palazzo Chigi

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