Deutschlands Energiewende: Die Welt steigt um – In Mühlheim-Kärlich begann der Ausstieg

Sehr geehrte Frau Ministerin, Liebe Uli Höffken
Lieber Kollege Scherrer,
Liebe Elke Sodemann-Müller,
Meine Damen und Herren,
liebe AKW-Gegner,

ich danke für die Einladung hier nach Mülheim-Kärlich.

1                  Hier fing der Ausstieg an

Hier am Rhein – zwischen Ahr und Mosel – begann der Ausstieg Deutschlands aus der Atomenergie greifbar zu werden.

Noch vor der Stilllegung von Stade und Obrigheim wurde entschieden, dass das AKW Mülheim-Kärlich endgültig vom Netz genommen wird.

Das war das erste greifbare Ergebnis des Atomkonsenses.

Das AKW wurde 70 Meter jenseits des genehmigten Ortes von RWE mitten im erdbebengefährdeten Neuwieder Becken erbaut. Die Auseinandersetzung um den Schwarzbau am Rhein war eine der schwierigsten im Ausstiegsprozess.

Ich habe noch mal auf meiner Festplatte gesucht. In all den von mir in den letzten Jahrzehnten bearbeiteten oder erstellten Vermerken, Reden, Artikeln und Hintergrundpapieren gab es zu Mülheim-Kärlich 92 Treffer – mit dieser Rede sind es 93.

Aber gerade weil – dank Reiner Geulen – der Meiler nur 30 Monate gelaufen war, kämpfte RWE so erbittert darum. Denn anders als bei anderen AKWs hatten sich die verbauten 3,6 Mrd. € noch nicht amortisiert.

RWEs Widerstand konnten wir durch den Kompromiss über die Anerkennung von Restlaufzeiten überwinden.

Die Einigung über Mülheim-Kärlich war – neben der über Obrigheim – der Durchbruch der Ausstiegsverhandlungen.

2                  Der Ausstieg – fast vollendet

Was nicht heißt, dass damit alle Probleme vom Tisch waren. Frau Merkels Rein in die Laufzeitverlängerung – Raus aus Laufzeitverlängerung zwischen 2010 und 2011 hat am Ende dazu geführt, dass RWE vom Bundesverfassungsgericht für Mülheim Kärlich noch einen Anspruch auf Strommengen zugesprochen bekam.

Atomausstieg rechtssicher machen – das können eben nur Grüne.

2022 – möglicherweise schon 2020 oder 2021 -geht in Lingen das letzte deutsche Atomkraftwerk vom Netz.

Doch der Ausstieg war gleichzeitig Einstieg. Schon heute produzieren Erneuerbare Energien mit 35 % der Stromerzeugung mehr Strom als alle AKWs zum Zeitpunkt des Atomkonsenses.

Der Ausstieg ist inzwischen fast komplett. Mit dem Standortauswahlgesetz wurde ein parteiübergreifender Konsens für die Suche nach dem besten Endlager gefunden.

Am 1.7. dieses Jahres wurden die Rückstellungen der Atomkonzerne für Zwischen- und Endlagerung endlich in einen staatlichen Fonds überführt. Sie sind mit vor Bilanztricks, vor Unternehmensumwandlungen oder feindlichen Übernahmen genauso gesichert wie vor Konkurs.

Damit aber am Ende nicht der Steuerzahler für die Endlagerung zahlt, mussten die Konzerne zusätzlich einen Risikoaufschlag von über 7 Mrd. € bezahlen.

Die heute vom bundeseigenen Fonds verwalteten 24,5 Mrd. sind die Grundlage für eine solide Finanzierung der Entsorgung des gefährlichsten Mülls der Welt.

Und wir haben zusätzlich dafür gesorgt, dass die Rückstellungen von RWE und Co. mit tatsächlichen Mitteln unterlegt sind, damit sie bis 2040 die 60 Mrd. zusätzlich aufbringen, die für den Rückbau solcher Kraftwerke wie hier in Mülheim-Kärlich benötigt werden.

Mit diesen Regeln und dem Fonds haben wir Grüne das Verursacherprinzip gesichert und durchgesetzt.

Dennoch ist der Atomausstieg nicht vollendet. Noch immer reichern die Urananlagen in Gronau und Lingen an.

  • Es ist absurd, dass die Bundesregierung scheinheilig die Schließung des belgischen Schrottreaktor Tihange fordert, aber zulässt, dass von der deutschen Urenco Brennelemente zum Weiterbetrieb geliefert werden.
  • Und noch absurder ist es, dass von Urenco angereichertes Material zur Tritium-Produktion für US-Atomwaffen geliefert wird. Deutschland ist Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrages.

Wer selbst das Risiko der Atomkraft für nicht verantwortbar hält, darf dafür nicht Uran liefern. Wer selbst auf Atomwaffen verzichtet, darf sie nicht mitproduzieren.

Manche sprechen angesichts des Ausstiegs von einem deutschen Sonderweg. Doch tatsächlich geht die Zahl der Atomkraftwerke überall in Europa immer weiter zurück. Der Anteil des Atomstroms an der Erzeugung sinkt kontinuierlich.

Zwar gibt es unzählige Ankündigungen über neue Projekte, in Polen oder der Türkei – doch regelmäßig bleibt es bei den Ankündigungen.

Das größte und modernste Projekt für ein neues AKW in Finnland hat eine Bauverzögerung von unzähligen Jahren. Dagegen ist der Berliner Flughafen BER voll im Plan. Die Hersteller müssen Milliarden zurückstellen, weil die Kosten explodiert sind.

Frankreich müsste statt einem sechs neue AKWs im Bau haben, wollte es nur den Level seiner jetzigen Produktion halten. Auch in der Grande Nation wird der Atom-Anteil an der Stromerzeugung weiter sinken.

In den USA haben trotz Hilfen durch die Obama-Administration keine neuen Bauten stattgefunden. Seit der Katastrophe von Harrisburg Ende der Siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts ist dort kein neues AKW verbindlich geordert worden.

Die von der Atomlobby beschworene „Renaissance“  der Atomkraft fällt aus – mangels Beteiligung.

Deutschlands Sonderrolle ist nicht, dass wir aussteigen. Das Besondere ist, dass Deutschland geordnet aussteigt und einsteigt.

Das Besondere in Deutschland ist die Energiewende.

3                  Die Welt steigt um

Und diese Sonderrolle hatte globale Auswirkungen. Ihre Geschichte begann vor 30 Jahren. In Deutschland gab es eine Reihe von Bastlern und Tüftlern, die sich um Alternative Energieerzeugung gekümmert haben.

In der ersten rot-grünen Landesregierung in Niedersachsen – Anfang der 90er  Jahre – haben wir einem solchen Bastler – er heißt Aloys Wobben – einen Zuschuss gegeben, damit er in seiner Garage Windräder zusammenschrauben konnte.

Heute ist er der größte industrielle Arbeitgeber nicht nur in seiner Heimatregion Ostfriesland. Enercon ist eine der Erfolgsstorys, die  die Energiewende mit sich gebracht hat.

Das war der Beginn, der die deutsche Energiewende zu einer Erfolgsgeschichte machte. Eine Erfolgsgeschichte nicht nur für Deutschland – sondern für die Welt.

2014 gewannen die Erneuerbaren zum ersten Mal das Rennen gegen die fossilen Energien.

Mit 143 Gigawatt wurden erstmalig mehr erneuerbare als fossile Kapazitäten installiert.

Kohle, Öl und Gas kamen bloß auf 141 GW. [1] Der Trend setzte sich in den letzten zwei Jahren fort.

Und er hält an. Wind, Sonne und Wasser werden immer wettbewerbsfähiger.

Sehr konservativen Schätzungen zu Folge sollen die Erneuerbaren 60% der Stromerzeugung im Jahr 2040 weltweit ausmachen. Und zwei Drittel aller Investitionen in diesem Bereich auf sich vereinen.[2]

Diese Entwicklung ist im Wesentlichen vor über zehn Jahren in Deutschland eingeleitet worden.

Die Energiewende war erfolgreicher, als selbst ihre Protagonisten gedacht haben. Ich etwa.

Als ich als verantwortlicher Minister das Erneuerbare-Energien-Gesetz im Jahr 2000 auf den Weg gebracht und im Jahr 2004 novelliert habe, stand im Gesetz, dass wir 2020 genau 20 % Anteil Erneuerbaren Strom haben wollen. Damals glaubte man, dass der Anteil technisch nie über 8% liegen könne.

Bereits im Jahre 2015 produzierten wir fast ein Drittel unseres Stroms erneuerbar. Dieses Jahr werden es über 35 % sein.

Auch so kann man sich irren.

  • In Deutschland wurden in den letzten Jahren jährlich über 20 Milliarden € in neue Stromerzeugungsanlagen investiert. Das gibt es in keinem anderen Land Europas.
  • Erneuerbare machen unabhängig – sie mindern die Exportabhängigkeit tradierter Energie von Uran bis Öl und Gas.
  • In diesen Anlagen werden jährlich gut 15 Mrd. € umgesetzt, davon profitieren Landwirte, Bürgergenossenschaften und Fonds. Eine neue mittelständische Industrie.
  • Entstanden ist eine exportstarke Industrie, in der zeitweilig bis zu 000 Menschen arbeiteten, in Europa sind es über eine Million.
  • Und der Strompreis an der Börse sank in zehn Jahren Energiewende von knapp 8 über 6 auf rund 3 Cent.

Dieses hat globale Auswirkungen. Mit Erneuerbaren Energien wurden 2014 nicht nur gut 151 Mio. t. Treibhausgase eingespart[3]. Das ist das Anderthalbfache der CO2-Emissionen aller deutschen Autos.

Vor allem aber wurden die Erneuerbaren Energien billig und damit wettbewerbsfähig.

Durch die stürmische Entwicklung und die damit verbundene technologische Lernkurve sank der Preis für Strom aus Windkraft um 80 %, für Fotovoltaik Strom sogar um 90 %.

Die letzten Ausschreibungen für Windstrom an Land und auf See sowie Photovoltaik Strom ergaben Preise von um die 5 Cent.

Es ist aber vor allem halb so hoch wie ein modernes fossiles Kraftwerk, das für 8 bis 11 Cent produziert. Und es ist höchstens ein Fünftel der Kosten für Strom aus einem neuen Atomkraftwerk.

Global ist heute die Referenzgröße für die Kosten einer Kilowattstunde nicht mehr ein Gaskraftwerk sondern eine Windturbine.

Deshalb boomen weltweit Erneuerbare. Und deshalb hat global Atomkraft keine Zukunft mehr.

Die deutsche Energiewende hat die Erneuerbaren global wettbewerbsfähig gemacht.

4                  Deutschland bremst sich aus

Doch ausgerechnet als die Erneuerbaren wettbewerbsfähig wurden, als sie überall in der Welt ausgebaut wurden und deutsche Unternehmen auf den Märkten der Welt riesige Exportchancen bekamen, ausgerechnet da trat Frau Merkel auf die Bremse beim Ausbau Erneuerbarer Energien.

In den 12 Jahren ihrer Kanzlerschaft hat Angela Merkel die Energiewende bisher nicht stoppen können. Ihr spektakulärster Versuch 2010 mit der Laufzeitverlängerung zerbrach am Widerstand der Anti-AKW-Bewegung und der Katastrophe von Fukushima.

Aber den Ausbau der Erneuerbaren zu bremsen, dafür hat sie viel getan.

12 Jahre Merkel sind 12 Jahre der Schikane und des Bremsen der Erneuerbaren Energien.

Es kam die Einführung der Sonnensteuer, Freiflächenverbot für Fotovoltaik, der Ausbaudeckel.

  • Das Ergebnis: der einstige Spitzenreiter bei Wind, Deutschland liegt heute hinter China und den USA auf Platz 3 und wird demnächst von Indien überholt.
  • Bei Photovoltaik liegt der ehemalige Spitzenreiter Deutschland noch weiter hinten.
  • Zwischen 2014 und 2017 wurden 000 Arbeitsplätze allein in der Erneuerbaren Industrie vernichtet. 70.000 Arbeitsplätze in einer Zukunftsindustrie.
  • Nur ein Beispiel. First Solar schloss seine Fabrik in Brandenburg und entließ in Folge von Merkels Freiflächenverbots 250 Mitarbeiter. Heute baut First Solar mit Apple in Kalifornien einen der größten Solarparks der Welt.

Wer den Industriestandort Deutschland sichern will, muss die Energiewende retten.

Und wer das Klima schützen will erst recht.

5                  Rettet die Energiewende

12 Jahre Merkel – das sind 9 Jahre stagnierende zuletzt sogar steigende Treibhausgase, das ist ein Jahrzehnt Klimaheuchelei.

Deutschland wird sein Klimaschutzziel 2020 verfehlen. Und dafür gibt es zwei Gründe: Kohle – und steigende Verkehrsemissionen.

Anstatt die zwanzig ältesten Kohlekraftwerke vom Netz zu nehmen, haben Gabriel und Merkel RWE und Vattenfall 1,6 Mrd. € spendiert, dass sie diese alten Stinker am Netz halten.

Große Koalition: Kohle subventioniert, Klima ruiniert. Wir müssen die Energiewende vor der Großen Koalition retten.

Wer mit uns regieren will, der muss zwei Dinge sicherstellen:

  1. Die Klimaschutzziele für 2020 müssen eingehalten werden – und dafür müssen die 20 ältesten Kohlekraftwerke sofort vom Netz und es muss einen geordneten Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2030 geben.
  2. Der Deckel für den Ausbau der Erneuerbaren Energien muss weg.

Als auf den besetzten Bauplätzen der Atomkraftwerke in den 70er und achtziger Jahren sich die ersten Windräder drehten, haben viele gelacht.

Aber es war der Beginn einer neuen Zeit. Dem Zeitalter der Dekarbonisierung.

Für dieses Zeitalter müssen die Altlasten des Atom- und Kohlezeitalters geordnet beendet werden.

Auch dafür steht Mülheim-Kärlich.

Vielen Dank!

[1] http://www.bloomberg.com/news/articles/2015-04-14/fossil-fuels-just-lost-the-race-against-renewables

[2] http://www.bloomberg.com/company/new-energy-outlook/

[3] https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/376/publikationen/emissionsbilanz_
erneuerbarer_energietraeger_2014_faltblatt.pdf

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