Trump allein zuhause – für länger
Vom 08. bis zum 12. April 2018 besuchte ich Kanada und die USA. Im Mittelpunkt der Gespräche in Ottawa und Washington, DC standen Fragen des transatlantischen Verhältnisses, der Handelskonflikte sowie der Energieaußenpolitik. Hierbei spielte die kanadische G7-Präsidentschaft ebenso eine Rolle wie die Beziehungen zu China und Russland. Begleitet wurde ich von Katharina Emschermann.
Zusammenfassung
- Kanada versucht in der G7-Präsidentschaft eine Taktik der Umarmung der USA, damit permanente Konflikte 6 gegen 1 (die USA) vermieden werden. Statt über Klimawandel soll so über verletzliche Küstengebiete und Katastrophenvorsorge gesprochen werden. Doch drohende Handelskriege sowie das Verhältnis zu China – beides nicht offiziell auf der Tagesordnung – dürften die eigentlichen Themen des Gipfels werden. Hier werden sich massive Konflikte offenbaren. Es ist dennoch nicht zu erwarten, dass Kanada ein starkes Gegengewicht zu den USA bilden wird.
- Kanadas wichtigster Wirtschaftspartner sind mit Dreiviertel der Exporte die USA. Die von Trump mit Strafzöllen erpressten Neuverhandlungen des Handelsabkommens haben noch kein Ergebnis. Die kanadische Hoffnung, dieses zum Gipfel der amerikanischen Staaten zu erreichen, hat sich angesichts der erratischen Verhandlungsführung der USA zerschlagen.
- Der von Trump ausgelöste Handelskonflikt bedroht die deutsche Industrie auf drei Ebenen: der bilaterale Konflikt betrifft die Zölle auf Stahl und Aluminium, der NAFTA-Konflikt stellt industrielle Wertschöpfungsketten komplett in Frage und der Konflikt mit China trifft den wichtigsten Absatzmarkt deutscher Unternehmen. So sind die größten US-Autoexporteure Richtung China Daimler und BMW. Die Nichtlösung dieser Konflikte verzögert und verhindert Investitionen – auch und gerade in den USA.
- Als Preis für den Verzicht auf Stahlzölle ab dem 1. Mai verlangen die USA im Vorfeld des Merkel-Besuchs ultimativ einen verbindlichen Zeitplan bis zu dem Deutschland 2 % seines Bruttosozialprodukts für Verteidigung ausgeben wird, was auf eine faktische Verdoppelung der Rüstungsausgaben hinauslaufen würde.
- Ebenfalls eingefordert wird eine Absage an Nordstream 2. Dies wird von einer breiten Koalition in den USA getragen. Dahinter steht unter anderem das offen geäußerte Interesse der US-LNG-Industrie, auf den europäischen Markt zu gelangen. Die dafür notwendige Erhöhung des Preisniveaus wiederum würde die Standortbedingungen für energieintensive Industrie in Europa gegenüber den USA verschlechtern. So geht America First in der Energiepolitik.
- Das Hauptmotiv einer wachsenden Konfrontation gegenüber Russland ist in den USA ein innenpolitisches. Die Demokraten glauben, wegen der Russen die Wahl verloren zu haben. Trump darf deshalb keine Schwäche gegenüber Russland zeigen. Die jüngsten Sanktionen der USA gegen Russland zielen eher auf einen Wirtschaftskrieg als auf Verhaltensänderungen.
- Aus dieser innenpolitischen Situation heraus erfolgte auch Trumps Tweet, in dem er Russland mit „smart missiles“ gegen Syrien bedrohte. Der folgende Vergeltungsschlag gegen Assad ändert am Krieg in Syrien nichts. Er verstößt gegen das Völkerrecht – und in den USA gegen die Verfassung.
- Die nächste Eskalation in der Außenpolitik droht, wenn Trump im Mai das Iran-Abkommen aufkündigt. Dies kann der Einstieg in ein nukleares Wettrüsten im Nahen Osten sein – mit Saudi-Arabien vorweg.
- Angesichts der Handelsstreitigkeiten und der eskalierenden Unberechenbarkeit in der Außenpolitik ist die Strategie, Trump einzudämmen[1], offenkundig gescheitert. Dies sahen die republikanischen Gesprächspartner teilweise auch so. Es gibt eine hohe demokratische Mobilisierung gegen Trump. Es wird schwierig für die Republikaner bei den Midterm-Elections im November, die Mehrheit im Repräsentantenhaus zu verteidigen.
- Auch wenn Trump dann keine legislative Mehrheit mehr haben sollte, ist es nicht ausgeschlossen, dass er für eine zweite Amtsperiode gewählt wird. Seine Zustimmung in der eigenen Klientel ist anhaltend hoch. Die Demokraten profitieren zwar von der allgemeinen Unzufriedenheit, aber sie haben noch keine alternative Erzählung, um America First zu kontern.
- Die Idee, vier oder gar acht Jahre Trump einfach zu überwintern, trägt nicht. Dazu sind die eingeleiteten Brüche zu grundlegend. Das transatlantische Verhältnis wird neu definiert werden.
Kanada: ein Land dazwischen
Kanada lebt dazwischen: zwischen Abhängigkeit und Abgrenzung zu den USA, zwischen Klimaschutz und Fossilen, zwischen den Kulturen.
Kanada ist einer der engsten Verbündeten Europas in der Welt – demokratisch und multilateral. National wie international nimmt die Frage der Geschlechtergerechtigkeit für die Regierung eine zentrale Stelle ein – auch in der Vorbereitung der G7. Kanada ist eine von Migration geprägte Gesellschaft, in der eine Vielfalt unterschiedlicher Kulturen und Religionen in eben dieser Vielfalt die kanadische Identität prägen. Heimat ist in Kanada multikulturell.
In Kanada ist innenpolitisch der Honeymoon des Beginns der Trudeauzeit[2] der Normalität gewichen. Kanada gibt sich weiterhin Mühe, seinem Ruf als Klimavorreiter gerecht zu werden. Dennoch ist zurzeit zweifelhaft, wie die selbst gesteckten Ziele erreicht werden sollen. Klima-NGOs werfen der Regierung schizophrenes Schwanken vor zwischen dem Bekenntnis zur Bekämpfung der Klimakrise und dem Vorhaben, weiterhin fossile Energiequellen zu erschließen.
Derzeit tobt beispielsweise ein erbitterter Kampf um eine Öl-Pipeline durch die Rocky Mountains, bei dem sich die Provinzen British Columbia und Alberta mit Einfuhrsperren bekriegen. Die Verwendung von Gas zur Förderung von Schieferöl ist für ein Viertel der kanadischen CO2-Emissionen verantwortlich.
Man sorgt sich in Kanada schon jetzt um überzogene Erwartungen an den G7 Gipfel. Kanadas Gestaltungsspielraum dort ist aufgrund verschiedener Faktoren eingeschränkt – die konfrontative US-Politik, die kanadische Abhängigkeit von den USA, die Abwesenheit zentraler Akteure wie China und Russland in der G7 etc. Der G7-Gipfel in Toarmina, Italien, im ersten Jahr der Präsidentschaft von Donald Trump war bereits schwierig. In Ottawa herrschte die Auffassung, dass die Herausforderungen seitdem eher gewachsen seien. Inzwischen seien zahlreiche lose Wahlversprechen von Trump zu unverrückbaren Regierungspositionen geworden.
Unterdessen ist die kanadische Regierung sehr um eine Lösung des von US-Präsident Donald Trump heraufbeschworenen NAFTA-Konfliktes bemüht. Erschwert werden diese Verhandlungen allerdings durch wechselnde Ansprechpartner in den USA, zum Teil ohne Verhandlungsmandat, und das Damoklesschwert einer plötzlichen unilateralen Entscheidung Trumps. Trotzdem hofft die kanadische Seite auf eine schnelle Einigung. Die Überlegung ist, dass Trump einen gleichzeitigen Handelskrieg mit China und Kanada vermeiden möchte.
Die Verquickung zwischen den USA und Kanada ist enorm. So gehen 90% der kanadischen Ölexporte in die USA, als Rohöl. In den USA wird das Rohöl raffiniert und an Kanada zurückverkauft.
Die kanadische Strategie im Umgang mit Donald Trump? Nicht zurück twittern und Zugang zur Trump-Administration verbessern durch verrentete Generäle.
Im Bereich der Sicherheitspolitik setzt sich in Kanada erst langsam die Einsicht durch, dass die geografische Lage Kanadas in Zukunft keinen ausreichenden Schutz vor den Bedrohungen der Gegenwart bieten wird. Dabei werden die Entwicklungen in der Arktis und im Bereich Cyber Security als größte Herausforderungen angesehen. Mit dem sich wandelnden Sicherheitsbegriff geht auch ein Wandel in der kanadischen Einstellung zur NATO einher: von ‚was können wir für die NATO tun?‘ hin zu einem ‚was kann die NATO für uns tun?‘. Gleichzeitig hat die Trudeau-Regierung ein verstärktes kanadisches Engagement in den Peacekeeping Missionen der UNO eingeleitet.
Make America gestrig again
Trumps Strategie basiert auf einer veralteten Vorstellung der amerikanischen Wirtschaft. Statt globaler Wertschöpfungsketten setzt sie auf ausschließlich in den USA gefertigte Produkte und auf überholte Energieträger wie Kohle. Konsequent verfolgt bedeutet „Make America Great Again“ nichts anderes als „Make America gestrig“. Entsprechend ist die amerikanische Industrie nicht begeistert von Trumps vermeintlich US-Industrie freundlicher Strategie.
(Deutsche) Autobauer fürchten vor allem den drohenden Handelskrieg mit China. Sie appellieren an die Europäische Union, sich der konfrontativen China-Politik der Trump-Administration zu verweigern. Die Autobauer vereint die Bereitschaft, Trump einen win einzuräumen und die Ratlosigkeit darüber, was er als win akzeptieren würde.
Während viele Gesprächspartner dazu rieten, die Tweets von Donald Trump einfach zu ignorieren, wiesen Industrievertreter auf die Macht der Worte hin. Allein die Androhung von Strafzöllen habe den Stahlpreis in die Höhe getrieben.
Midterm Elections 2018 und Präsidentschaftswahlen 2020
Midterm Elections werden traditionell als Protestwahl angesehen. Es sind Referenden über den Präsidenten. Die Mehrheitsverhältnisse haben sich in vier der letzten sechs Midterms gewandelt. Auch diesmal rechnen Meinungsforscher mit einem Umschwung.
Demokraten wird eine 65-70 prozentige Chance vorhergesagt, die Mehrheit im Repräsentantenhaus zu erringen. Die Wahrscheinlichkeit eines Machtwechsels im Senat wird nur auf 30-35% beziffert. Derzeit erleben die Demokraten Rückenwind. Ihre Wählerschaft ist durch die Abneigung zu Trump stark mobilisiert.
Beobachter schätzen, dass vier Faktoren diesen Trend bis November noch umkehren könnten: die Wirtschaft, Skandale, Gerede von einer Amtsenthebung und die Debatte über Waffenbesitz. Die letzten beiden könnten die republikanische Basis mobilisieren. Republikanische Wähler könnten auch durch einen Handelskrieg mit China angestachelt werden.
Langfristig zeichnet sich eine weitere Polarisierung ab. Bei Vorwahlen, so ein Gesprächspartner, würden sich jeweils der liberalste (bei den Demokraten) und der konservativste Kandidat (bei den Republikanern) durchsetzen. Im Kongress werde das zu einer weiteren Abnahme überparteilicher Zusammenarbeit führen.
Ein möglicher Erfolg der Demokraten bei den Midterm Elections hätte allerdings noch keine Aussagekraft für die Präsidentschaftswahl 2020. Die Demokraten haben ihre Kernprobleme der letzten Wahl nach wie vor nicht behoben: das Führungspersonal und die nichtvorhandene Message. Die Republikaner haben sich mit Trump vorerst arrangiert. Manche unserer Gesprächspartner redeten sich gar eine große Kontinuität – in der Substanz, nicht im Stil – amerikanischer Politik unter Trump ein.
Es ist durchaus möglich, dass Trump 2020 erneut antritt und gewinnt. Viele der Veränderungen, die er bis dahin und potentiell darüber hinaus anstößt, sind irreversibel. Man denke an den Ausstieg aus dem Klimaabkommen oder einen möglichen Einstieg in ein nukleares Wettrüsten im Mittleren Osten.
Diese Erkenntnis muss sich in Europa noch durchsetzen. Und sie muss in die zukünftige Gestaltung der transatlantischen Beziehungen einbezogen werden. Ein Gesprächspartner erinnerte daran: „it’s not just Trump“. Trump ist Ausdruck einer größeren Entwicklung in den USA.
Russland und die Neuordnung der Weltenergiemärkte
Noch gibt es keinen globalen Gasmarkt. Doch man sagte uns eine Entwicklung voraus, die in 10 bis 15 Jahren zu einem integrierten globalen Gasmarkt führen kann.
Die meisten Gesprächspartner betonten die amerikanische Ablehnung des Pipeline-Projekts Nordstream 2.
Vertreter der US-LNG-Industrie gaben sich in Gesprächen selbstbewusst. Sie prognostizierten bis 2020 eine Terminal-Kapazität von ca. 100 Mrd. Kubikmeter/Jahr. Eine zweite Investitionsphase (bis etwa 2025) könnte eine zusätzliche Kapazitätserweiterung von ca. 60 Mrd. Kubikmeter bringen. Lateinamerika und Asien, aber auch Europa werden als wichtige Exportmärkte betrachtet. LNG werde den Wettbewerb auf den Gasmärkten erhöhen. Offen blieb, inwiefern US-LNG mit russischem Pipelinegas konkurrieren kann. Ein Gesprächspartner stellte in Aussicht, man könne in Europa zukünftig Erdgas zum Preis von 4 – 5 USD/MMBtu anbieten. Diese Rechnung wurde von anderen Experten als unseriös angezweifelt.
Emser Depesche als Tweet – Trumps Raketenankündigung
Am frühen Morgen des 11. April, Tag 2 meines Aufenthaltes in Washington D.C., twitterte Präsident Trump: „Russia vows to shoot down any and all missiles fired at Syria. Get ready Russia, because they will be coming, nice and new and “smart!” You shouldn’t be partners with a Gas Killing Animal who kills his people and enjoys it!“.[3] “Russland, mach dich bereit, denn [die Raketen] werden kommen” – das war eine Kriegsdrohung in 223 Zeichen. DER SPIEGEL fragte prompt, ob dieser Tweet, ganz wie die Emser Depesche, einmal im Zentrum historischer Forschung stehen würde, wenn es darum geht, den Weg in die Katastrophe nachzuzeichnen.[4]
Der Tweet, die Lage in Syrien und das Verhältnis zu Russland waren im Folgenden immer wieder Thema in meinen Gesprächen in D.C. Es gab Beschwichtigungsversuche und den Hinweis auf den vermeintlich mäßigenden Einfluss von Akteuren wie Verteidigungsminister Jim Mattis. Noch während meiner Rückreise autorisierte Trump völkerrechtswidrige Luftschläge in Syrien. Dass die Situation nicht weiter eskaliert ist, ist der Vorwarnung Russlands, aber vor allem der russischen Entscheidung zu verdanken, die Luftschläge nicht zu beantworten.
Dieser Vorfall zeigt, dass es höchste Zeit ist, sich von drei verbreiteten Irrtümern über Trump zu verabschieden: er könne von seinem Kabinett oder dem Kongress eingehegt werden, seine internationalen Partner könnten ihn beschwichtigen und er meine nicht, was er sagt. Alle drei Annahmen haben sich wiederholt als falsch erwiesen. Die Europäer müssen sich dieser Realität stellen und endlich eine gemeinsame Strategie für diese disruptiven Zeiten entwickeln.
Gesprächspartner
- Abreu, Catherine Abreu – Executive Director, Climate Action Network Executive Director, Climate Action Network
- Bérard, Isabelle – Assistant Deputy Minister International Affairs Branch, Environment and Climate, Canada
- Boehm, Peter M. – Deputy Minister for the G7 Summit and Sherpa, Canada
- Boersma, Tim – SIPA Center on Global Energy Policy
- Cook Jr., Charles E. – Editor and Publisher The Cook Political Report
- Derentz, Landon R. – Director for Energy, National Security Council
- Des Rosiers, Frank – Assistant Deputy Minister Innovation and Energy Technology, Natural Resources Canada
- Gwozdecky, Mark – Political Director and Assistant Deputy Minister International Security and Political Affairs, Canada
- Hengel, Douglas C. – Senior Consultant, LNG Allies, The US LANG Association
- Jones, Jake – Daimler
- Lucas, Stephen – Deputy Minister, Environment and Climate Change, Canada
- Lysack, Mishka – University of Calgary
- Mullaney, Dan – Assistant US Trade Representative for Europe and the Middle East
- Nahas’, Albert – Vice President International Affairs, Tellurian
- Olsen, Henry – Senior Fellow, Ethics and Public Policy Center
- Outkirk, Sandra – Deputy Assistant Secretary, Bureau of Energy Resources, U.S. Department of State
- Overton, Matthew, Executive Director, Conference of Defense Associations
- Poe, Ted – Kongressabgeordneter, Republikaner, Texas’s 2nd congressional district
- Prigge, Annie – Deputy Director Asia Pacific, Natural Resources Canada
- Schneider, Anna – VW
- Sparwasser, Sabine – Deutsche Botschafterin in Kanada
- Thompson, John E. – Director International Environment, National Security Council
- Tsafos, Nikos – President, enalytica
- Turner, Michael – Kongressabgeordneter, Ohio’s 10th congressional district
- Vaughan, Scott – President and CEO, International Institute for Sustainable Development
- Washko, Mark – BASF
- Wittig, Peter – Deutscher Botschafter in den USA
[1] Reiseberichte 2016, 2017
[2] Siehe Reisebericht: https://www.trittin.de/2016/11/29/reisebericht-ottawa-und-vancouver-we-are-back-kanada-zurueck-auf-der-weltbuehne/
[3] https://twitter.com/realDonaldTrump/status/984022625440747520
[4] http://www.spiegel.de/spiegel/donald-trump-und-seine-drohungen-lust-am-untergang-a-1202790.html
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