Rechts Weckgucken, Kleinreden, Verharmlosen


Wie der Staat in Chemnitz versagt hat

Liebe Freundinnen und Freunde,
Meine sehr verehrten Damen und Herren,

1  Straftat

Am Wochenende des 25. August ist in Chemnitz bei einer gewalttätigen Auseinandersetzung ein junger Mann ums Leben gekommen. Trauer und Verzweiflung sind in einem solchen Fall mehr als angebracht und erwartbar.

Eine Straftat, die in einem rechtsstaatlichen Verfahren aufgeklärt und verurteilt werden muss. Doch was wir gesehen haben, war eine erschreckende, politische Instrumentalisierung einer Gewalttat durch die politische Rechte.

2  Hetzjagd

Mit Falschbehauptungen, Pauschalisierung und rassistischen Vorurteilen haben rechte AfD, Hooligans und Neonazis Stimmung gegen Flüchtlinge und Andersaussehende gemacht.

Das ist gefährlich und hat in Deutschland nichts zu suchen.

Das ist besonders gefährlich in Sachsen, in der die rechtsextreme Bedrohung lange bewusst kleingeredet wurde.

In einer Region, in der Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit seit Jahren hoch organisiert sind.

  • In Sachsen marschiert PEGIDA jeden Montag durch Dresden.
  • Der Dresdner Flüchtlingsrat aber zeigt die fast täglichen Beschädigungen und Beschmierungen ihrer Geschäftsstelle schon lange nicht mehr an. Es nützt nichts in Sachsen.
  • Die sächsische Polizei war vielmehr damit beschäftigt, Tausende von Handy von Antifaschisten zu überwachen, die gegen Nazis friedlich blockierten.

Sachsens ehemaliger Ministerpräsident Kurt Biedenkopf behaupteteeinst, die Sachsen seien “immun“ gegen Rechtsradikalismus. Jeder vierte dieser  Sachsen will laut Umfragen AFD wählen. Sie droht stärkste Kraft zu werden.

Die AfD ist schon lange keine rechtspopulistische Partei mehr. Sie hat sich mit dem Einzug in den Bundestag weiter radikalisiert. Sie ist heute eine offen rassistische, völkisch-nationalistische Partei.

Die AfD hat null Berührungsängste mit offenen Nazis und Identitären.

Die gewalttätigen Ausschreitungen von Chemnitz hat der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland verteidigt. „Wenn eine solche Tötungstat passiert, ist es normal, dass Menschen ausrasten“. Das sei in Chemnitz nicht anders als in Konstanz oder Freiburg.

Gauland sah auch keinen Grund, sich von einem Tweet des AfD-Bundestagsabgeordneten Markus Frohnmaier zu distanzieren. Der hatte geschrieben: „Wenn der Staat die Bürger nicht mehr schützen kann, gehen die Menschen auf die Straße und schützen sich selber. Ganz einfach! Heute ist es Bürgerpflicht, die todbringende ‚Messermigration‘ zu stoppen!“

Die AfD rechtfertigt Lynchjustiz.

3  Verharmlosung

In Chemnitz wurden Menschen, die man für Ausländer hielt durch die Stadt getrieben. Ein jüdisches Restaurant wurde demoliert. Rassistische Parolen wurden gerufen und der Hitlergruß gezeigt.

Es war ein Pogrom.

Wie schon Anfang der 90er Jahre Aufmärsche in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen.

Es war nicht der erste Pogrom in Sachsen. Schon vor Jahren waren Nazis randalierend durch Leipzig-Connewitz marschiert – von keiner Polizei gehindert.

Und was fällt der Union ein?

Sachsens Ministerpräsident leugnet die Realität: „Klar ist: Es gab keinen Mob, keine Hetzjagd und keine Pogrome“, so Kretschmer.

Zuletzt gibt er Journalistinnen und Journalisten Mitschuld an der aufgeheizten Stimmung, anstatt sich klar gegen Angriffe auf die Pressefreiheit zu stellen. Das ist blanker Hohn.

Und Heimat-Horst Seehofer meint, Hitlergruß und Hetzjagd machten noch keinen Nazi – „die Migration ist die Mutter aller Probleme“.

Diese Probleme müssen beim Namen genannt werden:

Wenn rechtsradikale Parolen gerufen und zu Gewalttaten gegen Andersaussehende aufgefordert wird, dann sind das keine besorgten Bürger. Dann sind das Nazis.

Faschisten werden stark, wenn man sie gewähren lässt. Genau das ist in Sachsen über Jahre passiert:

  • Wer vor den Rechten warnte, „redet Sachsen schlecht“.
  • Rassisten werden als „besorgte Bürger“ verständnisvoll schön geredet.
  • Und bis heute schafft die CDU Sachsen es nicht, vom Rechtsradikalismus zu sprechen, ohne vor dem viel gefährlicheren Linksextremismus zu warnen – auch wenn es nur ein evangelischer Pastor aus Thüringen war.

So konnte erst die NPD, dann die radikalisierte AfD in den Landtag einziehen. Bei der Bundestagswahl lag die AfD dann Kopf an Kopf mit der CDU.

Aber eines ist auch klar: das ist nicht allein ein ostdeutsches Phänomen. Die besten Ergebnisse in einem Flächenland hat die AfD ausgerechnet in Bayern und Baden-Württemberg erreicht.

Im Sommer ist ein Buch von Madelaine Albright erschienen: „Faschismus – eine Warnung“. Die Ex-US-Außenministerin wurde als Kind eines tschechischen Diplomaten von den Nazis ins Exil getrieben.

Bei ihr kann man nachlesen, wie es zum Faschismus kam.

Ja, der Aufstieg von Faschisten ist von Gewalt bestimmt. Die Herrschaft von Faschisten führt zu Gewalt und Krieg.

Aber die Macht bekamen sie in der Regel wie in Deutschland, in Österreich, in Italien auf legalem Weg.

Den Faschisten wurde die Macht übertragen. Das darf sich nicht wiederholen.

Deshalb ist der Weg Österreichs so gefährlich.

4  Rechtsstaat

Wir müssen den Faschisten mit allem Nachdruck entgegen treten. Politisch und mit aller Härte des Rechtsstaates.

Deshalb ist es umso unfassbarer, mit welcher Blindheit Behörden vor Ort und auf Bundesebene reagieren.

In Chemnitz kamen zu wenig Polizisten zum Einsatz. Sie waren nicht in der Lage, entschieden gegen rechtsextreme Gewalt vorzugehen. Das Lagezentrum, so heißt es auf Anfrage ans sächsische Innenministerium, habe es nicht für nötig gehalten, Verstärkung anzufragen.

In der vergangenen Woche begannen im Hambacher Wald die Räumungsaktionen der Polizei. Auf Twitter wurde den Protestierenden der Ratschlag gegeben, sie sollen nur laut „Ausländer raus!“ rufen – die Polizei würde dann wegschauen und sich zurückziehen.

Was hier polemisch gestichelt wurde, hat einen erschreckend wahren Kern. Die Vorfälle in Chemnitz und das Handeln der Verantwortlichen zeigen leider immer wieder, dass die Gefahr rechter Gewalt viel zu zurückhaltend verfolgt wird.

Schlimmer noch. Bis heute kann der Verfassungsschutz die Frage nicht beantworten, wie der NSU 10 Menschen ermorden konnte,

  • Obwohl die Täter aus dem vom Verfassungsschutz aufgebauten Thüringer Heimatschutz stammten
  • Obwohl sie von so vielen V-Leuten umstellt waren, deren Liste nach dem Auffliegen der Morde geschreddert wurde.

Man könnte sagen, dass der Verfassungsschutz auf dem rechten Auge blind ist. Man kann aber den Eindruck gewinnen, dass diese Blindheit gewollt ist.

Was soll man von einem Verfassungsschutzchef Maaßen halten:

  • Der in Bild die Echtheit des Video des Hetzjagd bezweifelt
  • Der die Verschwörungstheorien der AfD bedient

Man könnte auf die Idee kommen, dass Hans-Georg Maaßen das aus tiefer Überzeugung tut.

Schließlich warnte er schon in seiner Doktorarbeit vor „Asyltourismus“.

Wer wie Maaßen die AfD fallweise coacht, der darf nicht oberster Verfassungsschützer sein. Er ist eine Gefahr für die Verfassung.

Merkel spricht über Hass und Hetzjagden in Chemnitz. Ihr Verfassungsschutz widerspricht ihr öffentlich. Wann schmeißt sie den Rechtspopulisten im Amt raus?

Bürgerinnen und Bürger müssen Vertrauen in die Sicherheitsbehörden und den Rechtstaat haben. Sie sollen die Demokratie verteidigen und ihr nicht durch unverantwortliches Handeln schaden.

5  Gemeinsam gegen Rechts

Und trotz allem –  ich bin optimistisch.

Optimistisch, wenn ich sehe mit welcher Vehemenz, welchem Mut und welcher Standhaftigkeit sich überall Menschen gegen Rechts stellen – von Feine Sahne Fischfilet bis Helene Fischer.

Nicht nur auf den Demos in Chemnitz – auch hier in Niedersachen, hier in Göttingen.

Ich bin fest davon überzeugt, dass diejenigen, die Hass schüren, keine gesellschaftliche Mehrheit haben.

Immer wieder beweisen wir, dass wir bereit sind, Demokratie gegen rechte Gewalt zu verteidigen. Dass wir Rassismus mit Solidarität bekämpfen.

Dass wir immer und überall für unsere gemeinsamen Werte aufstehen.

Es gibt sie, die Faschisten, die Feinde der Demokratie, die unsere Humanität angreifen.

Aber wir sind lauter.

Wir sind mehr.

Danke

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