Wertebasierte Realpolitik in der multipolaren Unordnung

Abschreckung und Aufrüstung helfen nicht

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich, dass ich auf Ihrer nunmehr 4. Fachtagung zur Friedenspolitik sprechen und mit Ihnen über die deutsche Außenpolitik diskutieren darf.

1                  Zwei vor Zwölf

„Die Atomkriegsuhr steht auf zwei vor zwölf“– so lautet das Resümee führender Atomforscher. Und UNO-Generalsekretär Antonio Guterres sieht die Welt erstmals seit dem Ende des Kalten Krieges vor einer nuklearen Bedrohung stehen.

Vielen Menschen wurden diese Bedrohung unübersehbar in der verbalen Eskalation zwischen Donald Trump und Kim Jong-un – zwischen „little rocket man“ und dem mit dem „größeren – Atomknopf“.

Die Sorge der Experten und die Furcht der Menschen haben – leider – einen realen Kern.

Alle Atommächte – die offiziellen wie die inoffiziellen – modernisieren ihre nuklearen Potentiale. Zwar sank weltweit die Zahl der Atomsprengköpfe, doch es werden Milliarden in ihre Modernisierung und damit ihre Schlagkraft investiert. Allein in den USA sind es 400 Milliarden Dollar.

Doch in der Spannung um die koreanische Halbinsel spiegelt sich ein weiteres Risiko. Anders als im Kalten Krieg geht es nicht mehr um zwei Akteure in zwei Blöcken.

Und anders als im Kalten Krieg kann man nicht von der Berechenbarkeit der Akteure ausgehen. Dies gilt vor allem für den US-Präsidenten – und es war fast beruhigend zu sehen, wie rational China in diesem Konflikt agierte.

Am Ende des Kalten Krieges wurde das Zeitalter des Unilateralismus von den einen ausgerufen -und den anderen befürchtet.

Der Unilateralismus endete, bevor er so richtig begann. Sichtbar wurde dies im US-Krieg gegen den Irak.

Die USA – viel gescholten als selbsternannter Sheriff der Welt – erfuhren eine Überdehnung ihrer Macht. Heute gibt es keinen globalen Sheriff mehr. Regionale Warlords aber sehr wohl.

Neue Akteure bestimmen das Weltgeschehen mit. Ohne sie – oder gar gegen sie – ist kaum ein globales Problem zu lösen.

Und anders als Anfang der 90 Jahre des letzten Jahrhunderts geglaubt, wurde nicht der demokratische Kapitalismus zur vorherrschenden Gesellschaftsform wie in Europa, in Nordamerika, Brasilien, Indien und Ozeanien.

Mit ihm konkurrieren autokratische, autoritäre Systeme – mal mehr (Xi Jinping) mal weniger erfolgreich (Erdogan, Putin). Und die Demokratie ist nicht vom Rückfall zur Autokratie sicher. Mitten in Europa zeigt sich dies in Ungarn.

Wir leben in einer multipolaren Unordnung. In ihr bedarf es einer wertebasierten Realpolitik.

Ja, Realpolitik. In der Außenpolitik geht es um Interessen.

2                  Das Verschwinden des Westens

Wertebasierte Realpolitik in einer multipolaren Unordnung wird aber erschwert dadurch, dass traditionelle Verbündete offenkundig ausfallen.

Das transatlantische Verhältnis ist zerrüttet. Erst kürzlich konstatierte Trump in einem Interview: „Europe is as bad as China”.[1]Macron gegenüber sprach er gar von “worse than China”[2]

Der US-Präsident trampelt – ohne Rücksicht auf Verluste – alles nieder, was in den letzten Jahrzehnten zwischen Europa und den USA mühevoll aufgebaut wurde.

Die transatlantische Gemeinsamkeit beruhte auf drei I‘s.

  • Gemeinsame Ideale
  • Gemeinsame Interessen
  • Gemeinsame Institutionen

Mit den Idealen war das schon so eine Sache – Denken wir an den Vietnamkrieg, die Putsche in Chile, im Iran – organisiert durch die USA. Der Regimechange in Libyen und die Unterstützung des irakischen Giftgaskrieges gegen den Iran beschädigten die Glaubwürdigkeit Europas.  

Gemeinsam war hier vor allem die Erosion der Ideale.

Aber spätestens mit dem US-Krieg gegen den Irak war der Konflikt zwischen den USA und Europa offenkundig. Abu Ghraib wird als Beleg für den „verlogenen Westen“ in die Geschichte eingehe.

Parallel dazu vollzog sich eine Entfremdung in den Institutionen – schon lange bevor Donald Trump aus dem Pariser Klimaabkommen ausstieg und die NATO als „obsolet“ bezeichnete.

Die USA blockierten eine gerechtere Verteilung der Stimmrechte bei Weltbank und IWF, jene Institutionen, die sie selbst mitbegründeten. Die Europäer beteiligten sich zusammen mit China an neuen Institutionen wie die Asiatischen Investment Infrastruktur Bank (AIIB).

Indem die USA zäh ihre Machtrolle in den globalen Institutionen verteidigten, schwächten sie diese massiv. Gemeinsame Institutionen – sie wurden schwächer.

Unter Trump gehen die USA nun mit der Abrissbirne gegen gemeinsame Institutionen vor.

  • G7-Gipfel: geplatzt.
  • NATO: Schlachtfeld im Wirtschaftskrieg
  • WTO: blockiert

Lange Zeit schafften es die USA unter ihrer Schirmherrschaft, Nationen um sich herum zu vereinen und so unser heutige multilaterales Ordnungssystem zu formen.

Doch sukzessive haben die USA dazu beigetragen, dieses System ins Wanken zu bringen.

Mit seiner Politik des America First beschädigt Trump massiv Interessen, die Europäer und die USA lange als gemeinsame ansahen:

  • Offene Märkte
  • Herrschaft des Rechts

Das Ergebnis ist ein mit Zöllen, Steuerdumping und Sanktionen veranstalteter Wirtschaftskrieg zwischen Europa und den USA.

Wo es keine gemeinsamen Ideale, Interessen, Institutionen gibt, ist das transatlantische Verhältnis zerrüttet.

Der politische Westen existiert nicht mehr.

Ohne Zweifel ist das ein Rückschlag. Die Verhandlungsposition Europa wurde dadurch geschwächt. Doch man muss sich dieser unangenehmen Realität stellen.

Das haben noch nicht alle begriffen. Die Außenpolitik von Angela Merkel hat lange versucht, unter diesem Konflikt wegzutauchen.

Merkel wollte  Trump lange aussitzen und beschwichtigen.

Die einseitige Kündigung des Iran-Abkommens und die erlassenen Zöllen zeigen aber: Man kann Trump nicht aussitzen. Seine Präsidentschaft ist vorübergehend – aber seine Politik stellt einen Bruch dar.

Trump ist Disruption.

3                  Aufrüstung kein Ausweg

Nachhaltig gescheitert ist auch die Idee von Frau Merkel, Trump durch Aufrüstung zu beschwichtigen.

Die Idee, aus der allgemeinen Absichtsbekundung, die Rüstungsausgaben bis 2025 auf 2 % des Bruttosozialprodukts zu erhöhen, eine bindende Verpflichtung zu machen, hat nicht Donald Trump erfunden. Aber sie wurde auch nicht auf dem NATO-Gipfel in Wales beschlossen. Dass dort Unverbindlichkeit in Worte gegossen wurde war ja schließlich vollste Absicht. Dass sich die US-Interpretation am Ende durchsetzen konnte, hat viel mit Trump und Merkel zu tun.

Trump sieht gesteigerte Rüstungsausgaben als ein Mittel in seinem Wirtschaftskrieg gegen Europa. Es bindet Ressourcen, zwingt zum Einkauf von Rüstungsgütern in den USA, mindert deren Leistungsbilanzdefizit.

Merkel meinte dies in Kauf nehmen zu können, wenn es auf der anderen Seite nicht zu Zöllen gegen Europa käme.

Das Ergebnis ist ein Desaster.

  • Die Rüstungsausgaben sollen steigen.
  • Die Zollschranken wurden errichtet.
  • Die Konfrontation mit Russland wurde verschärft.

Dazu hat Putin mit seinem völkerrechtswidrigen Vorgehen auf der Krim und in der Ukraine den Anlass geliefert. An beidem wird aber die neue Aufrüstung und Abschreckung der NATO nichts ändern.

Neben Maßnahmen zur Rückversicherung innerhalb der NATO brauchen wir weitere Anstrengungen zur Rüstungskontrolle in Europa. Solange Russland sein Militär modernisiert, solange die NATO die Raketenabwehr in Osteuropa gegen Russland richtet, werden immer neue Hürden für Abrüstungsinitiativen, wie etwa im Rahmen der OSZE, aufgebaut.

Die neue Blockkonfrontation untergräbt eine Säule der europäischen Friedensordnung: Die Abrüstung.

Denn neben der Eröffnung der KSZE, die heute mit der OSZE institutionalisiert ist, ist sie einer der Pfeiler für Frieden und Sicherheit in Europa.

Bis Ende der 1970er Jahre wurden das  Verbot von Nuklearwaffenversuchen, der Atomwaffensperrvertrag, der SALT I – Vertrag, das Abkommen über die Vorbeugung von Atomkriegen, SALT II verabschiedet.

Dies waren alles Meilensteine der Friedenspolitik – mit all ihren Vor- und Nachteilen.

Später, folgten weitere: Start I und II, New Start unter Barack Obama und der INF-Vertrag.

Wenn es nach Donald Trump und Angela Merkel geht, soll Deutschland seinen Militärhaushalt verdoppeln.

Dabei geben die europäischen NATO-Mitglieder alleine, ohne die USA, schon jetzt dreimal so viel für Rüstung aus wie Russland. Die NATO insgesamt sogar mehr als vierzehnmal so viel. Ich frage mich: Wo ist da die Fähigkeitslücke?

Wenn Deutschland tatsächlich zwei Prozent seines Bruttoinlandsproduktes in die Verteidigung stecken würde, dann gäben wir alleine mehr für Rüstung aus als die Atommacht Russland, nämlich 70 Mrd. EUR – Russland gab laut dem Friedensforschungsinstituts Sipri 2017 66 Mrd. EUR aus.

Das ist weit mehr als Großbritannien (mit rund 35 Mrd. EUR) und Frankreich (mit rund 50 Mrd. EUR) inklusive ihrer Nukleardispositive ausgeben. Das ist absurd. Und gefährlich.

Allein 2019 soll der Verteidigungsetat um vier Milliarden Euro anwachsen. Obwohl Frau von der Leyen es die letzten Jahre schon nicht geschafft hat, bei der Beschaffungsmisere in ihrem Hause durchzugreifen und ihren Etat voll auszuschöpfen.

Dennoch gibt es mehr Geld für Waffen und schweres Gerät. Politik kommt dabei zu kurz.

Zum Vergleich: Das Auswärtige Amt und das Entwicklungsministerium, die beiden Ministerien also, die über Instrumente für die zivile Konfliktprävention und -bearbeitung verfügen, sollen bis 2021 deutlich weniger Geld zur Verfügung haben und in der Finanzplanung absinken. Die Diifferenz beträgt 4,5 Mrd. €. [3]

Beispielsweise hat die Große Koalition null Cent für Personalaufbau im Auswärtigen Amt eingeplant.

Damit hält die Koalition nicht mal ihr eigenes Versprechen aus dem Koalitionsvertrag ein, die Ausgaben für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit, die sog. ODA-Quote, und für Militär eins zu eins zu steigern. In einer Zeit, in der Diplomatie und Entwicklungszusammenarbeit mehr denn je gebraucht werden, ist das ein falsches Zeichen. Es braucht mehr Anstrengungen für den Frieden statt immer neue Kriegsgeräte.

Bis 2021 will die Bundesregierung die Mittel für die Bundeswehr um mehr als ein Drittel im Vergleich zu 2013 steigern. Zwar sind das nicht die von Trump und Stoltenberg so sehnlichst erwünschten 2%, aber immer noch 1,5% des BIPs.

So beteiligt sich Deutschland an einem neuen globalen Wettrüsten und der Renaissance der Abschreckung.

Die Zahlen von Sipri liefern den traurigen Beweis: 2017 stiegen die weltweiten Militärausgaben auf insgesamt 1,74 Billionen Dollar (rund 1,43 Billionen Euro). Verglichen mit dem Jahr zuvor war das ein Anstieg von 1,1 Prozent. Die kontinuierliche Aufrüstung untergräbt die Suche nach friedlichen Lösungen für Konflikte auf der ganzen Welt“, so die Forscher*innen.

3.1          MAD: Abschreckung

Das Prinzip der Abschreckung – konventionell und nuklear – erlebt derzeit ein trauriges Revival. Die Welt steht vor einem neuen – nuklearen – Wettrüsten.

Es geht um das „Gleichgewicht des Schreckens“. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg ist ein großer Fan. Er ist der Ansicht, Abschreckung sei “der beste Weg, um einen Konflikt zu vermeiden”.

Auf Englisch spricht man auch von “mutually assured desctruction”, also der wechselseitig zugesicherten Zerstörung. Wenn die erreicht ist, bedeutet der volle Einsatz von Nuklearwaffen die komplette Auslöschung von Angreifer und Verteidiger. Die Abkürzung MAD ist so ebenso wie pervers zutreffend.

Wie mad das ist, lässt sich im Nahen Osten beobachten. Nach der Aufkündigung des Iran-Deals durch Donald Trump droht hier ein nukleares Wettrüsten – mitten im Pulverfass Naher und Mittlerer Osten.

Doch wenn der Iran nach der Bombe strebt, will Saudi-Arabien auch eine – und sie werden sie vor dem Iran haben. Wenn Saudi-Arabien eine Bombe hat, wird Katar nachziehen wollen. …

Abschreckung ist mad und gefährlich.

Und sie aus der Zeit gefallen.

3.2          Neue Kriege

Schauen wir auf die die aktuellen Bedrohungen für Europas Sicherheit in ihrer ganzen Bandbreite – und nicht nur mit einem verengten Blick auf Russland. Dann stellen wir fest:

Konflikte und Krisen haben sich verändert.

Wir haben es heute mit sogenannten neuen Kriegen zu tun. Heute stehen sich nicht mehr die Armeen von Großmächten auf den Schlachtfeldern gegenüber.

Was wir heute in Libyen und Syrien, in Mali
oder in der Ukraine erleben sind sogenannte neue Kriege.

  • Diese neuen Kriege sind asymmetrisch. Ein militärisch übermächtiger Gegner stehtweit unterlegenen Gruppen gegenüber. Statt große Entscheidungsschlachten auszufechten, bekämpfen sich Rebellen und Militärs in Guerillakriegen. Dabei schrecken beide Seiten nicht vor terroristischen Mittel wie Bombenanschlägen zurück.
  • Neue Kriege sind privatisiert. Hier kämpfen nicht nur nationale Streitkräfte in Uniform, sondern Milizen, Warlords, Söldner, Terroristen – aber auch Special Forces und grüne Männchen. Diese Akteure halten sich an keine Regeln, auch nicht an Mindeststandards des Kriegsvölkerrechts.
  • Neue Kriege sind entgrenzt, das Schlachtfeld überall. Die USA haben unter Berufung auf die schrecklichen Anschläge von 9/11 völkerrechtswidrige Drohnenangriffe nicht nur in Afghanistan oder Pakistan geführt, sondern in Somalia, im Jemen. Die Grenze zwischen Krieg und Frieden, zwischen Kombattanten und Nicht-Kombattanten wird so aufgehoben. Darunter leidet vor allem die Zivilbevölkerung.
  • Neue Kriege verwischen die Trennung zwischen Innen und Außen. Es gabund gibt terroristische Attacken von Zugewanderten in Deutschland – aber die Attentäter von Paris wuchsen in dessen Vororten auf, die Sauerlandgruppe hieß nach ihrer Herkunft. Aus Deutschland sind über 100 Menschen zu DAESH in Syrien und dem Irak gezogen.

Das heißt aber auch:

Abschreckung ist wirkungslos gegen diese neuen Herausforderungen.

Staatszerfall in der europäischen Nachbarschaft lässt sich nicht abschrecken. Selbstmordattentäter lassen sich nicht abschrecken.

Wir müssen endlich aufhören zu versuchen, die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts mit Mitteln des 20. Jahrhunderts zu bekämpfen.

Neue Kriege lassen sich nicht mit militärischer Übermacht gewinnen. Aufrüstung verstärkt nur die Asymmetrie.

Das müssen Europa, die USA und Russland gerade in Syrien lernen. Neue Kriege enden – wenn überhaupt – in einer Verhandlungslösung. „No victors – no vanquished“ nannte der ehemalige U.S.-Präsident Barack Obama das.

Dazu bedarf es starker internationaler Institutionen, die Fähigkeit haben Entwicklung, Governance und Sicherheit zusammenzubringen.

Doch diese Erkenntnis scheint bei nur Wenigen zu fruchten. Lieber rüsten sie konventionell und nuklear weiter auf als gäbe es kein Morgen.

Wir sollten uns stattdessen auf unsere wirklichen Herausforderungen konzentrieren. Die Treiber von Staatszerfall und neuen Kriegen sind Klimakrise, Ungleichheit, Korruption und Aufrüstung.

Da hilft es,

  • Geld in die Bekämpfung der Armut und der Folgen der Klimakrise, aber auch in Infrastruktur zu investieren;
  • Den Atomaffenverbotsvertrag zu unterzeichnen, so wie es schon 64 Staaten getan haben – das stärkt die UN;
  • Keine Waffen mehr an die Saudis und die Golfstaaten mehr zu senden für ihren mörderischen Krieg gegen den Jemen.

Doch dafür braucht es ein handlungsfähiges Europa.

4                  Der Pol Europa

In einer multipolaren Welt kommt es auf das Gewicht an. Die multipolare Unordnung ist kein stabiler Zustand. Sie kann auch in einem neuen globalen Duo-Pol enden. Gebildet von der aufsteigenden Supermacht China und der absteigenden Supermacht USA.

Europa ist noch ein Pol. Deutschland ist es nicht. Der größte Binnenmarkt der Welt aber und seine halbe Milliarde Bürger sind nicht einfach zu ignorieren. In der multipolaren Welt kann deutsche Außenpolitik nur europäisch wirken.

Dafür muss Europa „weltpolitikfähig werden“ (Jean Claude Juncker). Die Europäische Union muss ihre zivilen und zivil-militärischen Fähigkeiten ausbauen. Ein Schritt wäre: Weg vom Einstimmigkeitsprinzip hin zu Mehrheitsentscheidungen in der Außenpolitik.

Europa muss seine Krisen überwinden. Diese Krisen sind politischer und ökonomischer Natur, sie liegen aber auch in der sozialen Spaltung. Jeder dieser Krisen würde sich verschärfen, würden versucht werden, sie auf nationaler Ebene zu lösen.

Deshalb verläuft die tatsächliche Konfliktlinie heute zwischen national und europäisch.

Und es sind nicht nur die Faschisten und Rechtspopulisten, die national denken und handeln.

Die Überwindung der Finanzkrise von 2008 in Europa war nichts anderes, als die Nationalisierung der Folgen einer globalen Finanzkrise. Es war eben das Gegenteil einer europäischen Lösung. Und genau dies hat dem offenen Nationalismus Auftrieb verschafft.

Wenn wir die Spaltung in Norden und Süden in Europa überwinden wollen, wenn wir die anderen Spaltungen überwinden wollen, dann muss die Austeritätspolitik in Europa beendet werden.

Europa muss sicherstellen, dass seine Soft Power auch wirklich Power hat. Dies geht nur gemeinsam – nicht mit deutschen Sonderwegen beim Handel, nicht mit 27 China-Politiken.

Europa bringt dafür gute Voraussetzungen mit.

In der neuen multipolaren Welt folgt die Politik stärker der Ökonomie.

Trump zieht jetzt seine Konsequenz aus der politischen Überdehnung: ein aggressiver Wirtschaftsnationalismus gepaart mit unilateraler Außenpolitik. Mit den US-Schutzzöllen hat er einen Handelskrieg eingeleitet. China nutzt Handel und Investitionen für seine geostrategische Ausdehnung – und gibt sich gleichzeitig einen multilateralen Anstrich.

Sichtbarster Ausdruck für die neue multipolare Welt ist eben der Aufstieg Chinas. Das Land drängt mit Macht auf die Weltbühne. Seit 2010 hat China seine Investitionen in Europa um 1.500 Prozent gesteigert. Doch auch Indien und Brasilien entwickeln regionale bis globale Ambitionen.

Die Herrschaft des Rechts muss durch eine multilaterale Ordnung gesichert sein. Den Rahmen für diese Ordnung können nur die Vereinten Nationen sowie multilaterale Organisationen wie etwa die WTO bieten.

Der Weg dahin kann aber über neue Allianzen mit sehr unterschiedlichen Kräften gehen.

4.1          Neue Ordnung  – neue Allianzen.

Neue Allianzen beruhen auf gemeinsamen Interessen. Wenn es keine strategischen Verbündeten mehr gibt, macht es keinen Sinn auf die Rezepte aus der Bipolarität zurück zu greifen. Weder Kalter Krieg noch Neo-Entspannungspolitik gegenüber Russland helfen.

Die neue globale Ordnung wird sich über fallweise Interessenskoalitionen herstellen.

Mit China und Russland gegen die USA zur Rettung des Atomabkommens mit dem Iran, mit den USA gegen den diskriminierenden Marktzugang in China. Mit den ASEAN-Staaten gegen eine regionale Dominanz Chinas in Südostasien und mit China gegen die US-Schutzzölle.

Diese fallweisen Koalitionen brauchen einen Fixstern: das Völkerrecht und internationale Verträge.

Lassen Sie mich einen Blick in die Glaskugel wagen: Vielleicht müssen wir eine Zeitlang ohne die WTO auskommen, weil Trump aber auch China sich von ihr lossagen. Vielleicht werden wir zwischenzeitlich wieder vermehrt auf bilaterale Handelsabkommen setzen müssen –um diese in eine neue WTO zurück zu führen.

5                  Ein globaler Rahmen

Langfristig gesehen gibt es keine Alternative zu multilateralen Institutionen.

Aber dann darf man sie auch nicht fallweise umgehen. Länder, die sich an einem Militärschlag im Rahmen einer Koalition der der Willigen an einem Vergeltungsschlag gegen ein Land beteiligen, verletzen das Völkerrecht. Und in Deutschland verstößt man dabei gegen das Grundgesetz und das Völkerstrafgesetz.

Man kann nicht in Sonntagsreden, die Stärke des Rechts gegen das Recht des Stärkeren hochhalten – und sich dann selbst nicht ans Recht halten.

Multilaterale Institutionen wie der Sicherheitsrat, wie die Generalversammlung, wie die Welthandelsorganisation müssen gestärkt und nicht durch Umgehung geschwächt werden.

Auch wenn es unbequem ist:

Die Stärke des internationalen Rechts beruht auf starken multilateralen Institutionen.

Nur so kann die multipolare Unordnung ein Stück weit geordnet werden.

Alles andere hieße, eine umfassend gewordene Globalisierung nicht gestalten zu wollen. Hieße sich vor ihr verstecken zu wollen. Dann verkriechen sich alle in ihren nationalen Ecken. Nationalismus aber, das hat uns die Geschichte bitter gelehrt, ist keine Lösung, sondern nur der sichere Weg zu Spaltung und führt in letzter Konsequenz zu Krieg.

Die neue multipolare Welt zwingt zur Ehrlichkeit. In Zeiten der Bipolarität, des unilateralen Anspruchs konnte das Verfolgen knallharter Interessen noch erfolgreich ideologisch kostümiert werden.

Heute ist eine nüchterne Abwägung der Interessen gefragt – multilateral und auf der Basis der Menschenrechte.

So geht wertebasierte Realpolitik.


[1]              https://www.vox.com/world/2018/7/1/17522984/europe-china-trade-war-trump

[2]              https://edition.cnn.com/2018/06/10/politics/trump-macron-european-union-china-trade/index.html

[3]              Aufwuchs 2018-2022     Betrag
BMVG:                                                7.683 Mio. €
AA & BMZ:                         3.159 Mio. €
Differenz:                          4.524 Mio. €
(Vergleich BMVg versus AA und BMZ – Alter Finanzplan (51.) versus neue Projektion Finanzplan Eckwerte 2018-2022)

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