Transatlantische Entfremdung
Vom 30. März bis 2. April 2019 besuchte ich die USA. Die Gespräche in El Paso, Texas, und Washington, DC, standen bereits im Zeichen des beginnenden Vorwahlkampfes der amerikanischen Präsidentschaftswahl 2020. Sie dokumentieren eine wachsende transatlantische Entfremdung. Begleitet wurde ich von Katharina Emschermann.
Zusammenfassung
- Ausnahmslos alle Gesprächspartner waren skeptisch, was die Chancen der Demokraten betrifft, 2020 das Weiße Haus zurückzugewinnen. Auch die Demokraten selbst. Auf dieser Seite des Atlantiks will man es nicht wahrhaben, aber: die Wahrscheinlichkeit der Wiederwahl Trumps ist sehr hoch.
- Klimawandel könnte im Wahlkampf der Demokraten eines der Top 5, vielleicht sogar Top 3 Themen werden. Der Green New Deal in den USA soll aus dem Klima-Thema ein soziales Thema machen. Der Begriff ist dort allerdings schon jetzt toxisch.
- Mit der Ausnahme von NATO (2 %!), WTO (kein Vertrauen!) und INF (it’s dead!) waren multilaterale Organisationen oder internationale Verträge überhaupt kein Thema für die amerikanischen Gesprächspartner. Die Trump-Administration operiert bereits jetzt so als herrsche international nicht die von den USA mitaufgebaute liberale Ordnung, sondern Anarchie.
- Zu Afghanistan machten meine Gesprächspartner deutlich: Trump habe den Abzug versprochen, der Abzug werde kommen. Je eher die Bundesregierung das einsieht, desto eher kommt sie mit dem Kopf aus dem Sand.
- Angesichts des eskalierenden Wirtschaftskrieges war China häufig Thema. Die amerikanischen Gesprächspartner kritisierten die EU für ihre bisherige China-Politik. China wurde als gemeinsamer Gegner dargestellt. Für einen tragfähigen Umgang mit China gab es allerdings keine Impulse.
Demokratische Primaries
Im Hinblick auf die Kandidaten-Kür bei den Demokraten herrscht unter den Analysten, die ich getroffen habe, Einigkeit: es gibt eine Sehnsucht nach einer linken Kandidatin, aber um zu gewinnen (und das heißt aus Sicht meiner Gesprächspartner den Mittleren Westen zurückzugewinnen) bräuchte es ein*e Kandidat*in der Mitte.
Dass ein*e solche*r Kandidat*in voraussichtlich ein Mobilisierungsproblem hat, darauf gab es keine Antwort. Auch haben die Demokraten immer noch keine übergreifende Botschaft gefunden mit der sie auf Donald Trumps große Erzählung vom „Make Amerika Great again“ antworten können.
Bei den Demokraten ist die strategische Frage ungeklärt, wie sie aus einer Mehrheit unter den Wähler*innen eine Mehrheit der Wahlmänner und -frauen machen wollen. Soll der Fokus auf die Rückeroberung der Staaten im Mittleren Westen gelegt werden – oder soll versucht werden, jene Staaten zu erobern, die einem deutlichen demografischen Wandel unterliegen?
Ein solcher Staat ist Texas. Die Grenzstadt El Paso war oft Zentrum von Donald Trumps Flüchtlingspolemik. Die Stadt ist geteilt – sie bildet mit der mexikanischen Ciudad Juárez eine große Agglomeration. Der Blick auf die Grenzanlage ist besonders für einen Deutschen beklemmend. Dies wurde sehr deutlich bei einer Besichtigung der Stadt und des Armeestützpunktes Fort Bliss zusammen mit dem stellvertretenden Kommandeur der in El Paso stationierten Bundeswehrsoldaten.
Am 30. März fand in El Paso die Auftaktveranstaltung des Wahlkampfes des demokratischen Präsidentschaftsbewerbers Beto O’Rourke statt. Sein Kernsatz lautete: „El Paso ist sicher, nicht trotz, sondern wegen der Einwanderer“[1]. Das zeigt: die Veranstaltung war ein Heimspiel. Im Mittleren Westen hätte er diese Rede nicht halten können.
70 Jahre NATO: 2 %-Festspiele
Mein Besuch in D.C. fiel in die Jubiläumswoche 70 Jahre NATO in Washington. In den Gesprächen wurde deutlich: Der Kongress hängt an dem Bündnis, Trump nicht. Aber ihm sind in der Frage Austritt die Hände gebunden.
Während der Jubiläumswoche drehte sich alles um die geforderte Aufstockung des Verteidigungshaushaltes auf zwei Prozent des BIP in allen NATO-Staaten. Dabei lag das Hauptaugenmerk auf Deutschland. Der Vorwurf lautete Wortbruch. Die Forderung nach zwei Prozent ist in den USA überparteilich. Es gibt kein Verständnis für Nachfragen zu tatsächlichen Bedarfen, Verweisen auf mangelnden Rückhalt in der Bevölkerung oder den Wortlaut von Wales.
Man darf sich nichts vormachen. Hier nachgeben bedeutet nicht Ruhe im Bündnis, sondern neue, höhere Forderungen. Deshalb ist Klartext angesagt.
Die Haltung der Gesprächspartner zum INF-Vertrag war, Russland müsse sein Verhalten ändern. Es gab keine Antwort auf das Wie, aber auch kein Interesse an einer solchen Antwort. Es herrschte kein Verständnis für die europäische Bedrohungsperzeption.
Es wurde immer wieder deutlich, dass die Trump-Administration internationale Politik als Nullsummenspiel betrachtet. Es gibt kein Verständnis von Kompromissen auf dem Weg zu einer Einigung. Es gibt nur die amerikanische Maximalposition oder no deal – die Konsequenzen werden nicht diskutiert. Das Ganze wird zur Strategie erhoben. Dieser Mad Man-Ansatz lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: vom Präsident ist nichts zu erwarten, ihr müsst euch bewegen.
In den USA ist gerade Deutschlandjahr. Das Motto lautet: Wunderbar together. Das Ziel: mehr Austausch. Ergebnis meines Austausches: Unter der Trump-Administration bröckeln alle drei Säulen der transatlantischen Beziehungen – Interessen, Ideale und Institutionen.
Wunderbar together? Eher: Sonderbar together.
Gesprächspartner*innen
- Chorlins, Marjorie A. – U.S. Chamber of Commerce
- DiNanno, Thomas G. – Deputy Assistant Secretary, Arms Control, Verification & Compliance Bureau, U.S. Department of State
- Duesterberg, Thomas J. – Senior Fellow, Hudson Institute
- Fisher, Julie – Deputy Assistant Secretary for European and Eurasian Affairs
- Haber, Emily – deutsche Botschafterin USA
- Halpin, John – Senior Fellow, Co-Director, Progressive Studies Program, Center for American Progress
- Hill, Katie – Demokratin, Mitglied des Repräsentantenhauses
- Hussein, Bina – Associate Director, Atlantic Council, Global Energy Center
- Kennedy, Craig – Senior Fellow, Hudson Institute
- Khakova, Olga – Associate Director for European Energy Security, Atlantic Council, Global Energy Center
- Light, Andrew – Senior Fellow, Distinguished Senior Fellow Global Climate Program, World Resource Institute
- Livingston, David – Deputy Director, Atlantic Council, Global Energy Center
- Meister, Thomas Hermann – deutscher Generalkonsul Houston
- Neubert, Henri – Oberstleutnant, Stellvertr. Kommandeur TaktAusbWbZ FlaRakLw USA
- Olsen, Henry – Ethics and Public Policy Center
- Purvis, Nigel – President and CEO of Climate Advisers
- Thielges, Sonja – Research Associate Pathways to Sustainable Energy, IASS Potsdam
- Turner, Michael – Republikaner, Mitglied des Repräsentantenhauses der Vereinigten Staaten
- Waterman, Jeremie – President China Center, U.S. Chamber of Commerce
Photo credits: Team Trittin
[1] “We are safe, not despite the fact that we are a city of immigrants and asylum seekers. We are safe because we are a city of immigrants and asylum seekers.” – https://www.apnews.com/613cde1ab0914ca7a08fcadbe9f75d8a
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