Die Europäische Union wird nach der Coronakrise eine andere sein als zuvor. Die Verheerungen der einseitigen Grenzschließungen, das Befeuern der Vorurteile gegen „die anderen“, all dies wird nicht verschwinden, selbst wenn an den meisten Grenzen wieder freie Fahrt herrscht.
Schlimmer noch. Es stellt sich ernsthaft die Frage, ob es nach der Coronakrise noch eine Europäische Union gibt. Denn im Angesicht einer globalen Krise hat das gemeinsame Europa versagt.
Das liegt nicht an dem Virus Sars-Corona2. Er erfordert gerade globale Kooperation, für alle geltende Regeln. Er verlangt europäische Antworten. Denn unübersehbar liegt heute Tirol in Skandinavien und Wuhan in der Lombardei.
Doch in Wahrheit sind wir von einem „Europa, das schützt“ (Emanuel Macron) weiter entfernt als vor der Krise. Und das gilt nicht nur beim nationalen Wettlauf um Schutzkleidung. Es gilt gerade bei der Königsdisziplin der Europäischen Union, der Sicherung und Stärkung des gemeinsamen europäischen Binnenmarkts in der Coronakrise.
Im Budapest des Viktor Orban wird gerade an das demokratische Fundament der Europäischen Union mit der Spitzhacke attackiert, Die vier Grundfreiheiten werden nicht nur Polen oder Österreich, sondern auch an der saarländischen Grenze in Frage gestellt. Das alles ist sehr bedrohlich.
Der zentrale Ort des Scheiterns Europa aber ist Berlin. Verantwortlich dafür ist eine Große Koalition, die sich schon vor der Krise mit europäischen Antworten auf große Krisen schwertat. Bei CDU, CSU wie SPD ist es hart zu entscheiden, was schlimmer ist: ihre stupende Unwilligkeit aus den Fehlern der letzten Finanzkrise zu lernen, oder die Dreistigkeit, mit der sie in Europa ihre nationale Politik durchziehen.
Die Finanzkrise 2008 wurde durch eine globale Bankenkrise ausgelöst. Ursache waren massiv überschuldete Privathaushalte, Unternehmen und Banken. Dies Krise traf in Europa überschuldete Staaten wie Griechenland und Italien – aber auch Staaten deren Verschuldung deutlich unter Deutschlands lag, etwa Spanien und Irland.
Die globale Krise von 2008 wurde von Frau Merkel zu einer Staatsschuldenkrise umgelogen. Nicht die Überschuldung von Banken und Familien, sondern unsolides Haushalten sollte schuld sein. Folglich sollte die globale Krise nicht von Europa, sondern von den Mitgliedstaaten einzeln geschultert werden. Dafür gab es zwar europäische Hilfe, aber alle Hilfe erhöht die nationale Staatsverschuldung von Spanien wie Italien. Um ihre Staatsverschuldung zu stabilisieren, mussten diese Staaten nicht nur Steuern erhöhen, sondern massiv Ausgaben kürzen.
Deutschland zwang zusammen mit den Niederlanden und anderen den Rest Europas in die Austerität. Italien wie Spanien mussten massive Einschnitte auch in ihren Gesundheitssystem vornehmen. Die im Vergleich zu Deutschland geringere Zahl der Intensivbetten in der sehr wohlhabenden Lombardei zeugt davon ebenso, wie das Massensterben in den Altenheimen um Madrid – Spaniens reichster Region.
Die große Koalition in Deutschland hat das nicht gekümmert. Sie hat sich mit Händen und Füßen gegen Konsequenzen aus der Krisenerfahrung von 2008 gewehrt. Jahrelang blockierte Deutschland – am Ende erfolglos – eine europäische Bankenaufsicht. Bis heute bremsen Merkel und Scholz bei einer europäischen Einlagensicherung.
Als Emanuel Macron den Aufbau eines Eurozonenbudgets forderte, um massiven exogenen Schocks wie der jetzigen Coronakrise ökonomisch entgegenwirken zu können, bekam er aus Deutschland zunächst gar keine Antwort. Dann verhandelte der sozialdemokratische deutsche Finanzministerminister Olaf Scholz diesen Krisenfond auf 35 Milliarden runter – verteilt über sieben Jahre. Es war die Einführung der Homöopathie in die Wirtschaftspolitik.
Der gleiche Olaf Scholz hat in der Coronakrise an Krediten, Bürgschaften und Beteiligungen, jetzt mal eben 1,8 Billionen auf den Tisch gepackt. Nicht für Europa – für Deutschland.
Eine europäische Anleihe zur Bewältigung der Folgen der Coronakrise aber blockieren Merkel und Scholz mit aller Macht. Da hilft es auch nicht, wenn anders als 2008, die wichtigen deutschen Ökonomen einmütig Coronabonds in einem Volumen von 1 Billion fordern. Vor diesem Konsens der Wissenschaft halten sich Merkel und Scholz sehr fest die Ohren zu.
Die seit den Zeiten von Heinrich Brüning gepflegte Deutsche Ideologie der Austerität als Antwort auf Krisen droht in der Coronakrise zum Sprengsatz für Europa zu werden.
Da helfen auch vorgebliche Kompromissangebote wenig. Scholz 200 Milliarden aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus plus Geld von Europäischen Investitionsbank lösen das Problem nicht. Schlicht, weil das Volumen zu gering ist – und schlicht, weil es selbst ohne Konditionen die Kreditwürdigkeit von Spanien und Italien schwächt.
Damit beugt das Paket nicht Spekulationen gegen diese Länder vor. Das Ergebnis wäre eine erneute Euro-Krise. Ein Zerbrechen des Euro aber kennt einen großen Verlierer – Deutschland und seine Exporte.
Es steht zu befürchten, dass der angebotene Formelkompromisse am Ende von Spanien wie Italien akzeptiert werden muss. Ein bisschen ist zwar zu wenig ist, aber besser als nichts.
Noch haben Spanien und Italien dem widerstanden. Auch in 14 Stunden Videokonferenz konnten sich die Finanzminister nicht einigen. Mitten in einer Pandemie, in der zehntausende starben, verweigert Deutschland und mit ihm die Niederlande europäische Anleihen. Austerität geht vor Solidarität.
Ob die Europäische Union dies ein zweites Mal überlebt, ist mehr denn je eine offene Frage. Nicht die Pandemie, sondern deutsche Ideologie droht Europa zu zerstören.
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