Sehr geehrter Herr Dr. Rosenthal,
ich habe Ihren Brief aufmerksam gelesen. Meine Pressemitteilung zu dem Thema Windkraft im Regionalen Raumordnungsprogramm (RROP) war eine direkte Reaktion auf in der Mündener Allgemeine vom 19.7.2021 zitierten Aussage Frau Rüngelings „Um zu verhindern, dass der neue RROP in Kraft tritt, ist es wichtig, dass möglichst viele Bürger bis zum 31. Juli ihre Stellungnahme dazu abgeben. Nur so könne erreicht werden, dass das Thema Windenergie tatsächlich vorerst gestrichen und dann gesondert überarbeitet wird.“
Dabei habe ich nicht die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an dem Prozess zum RROP und auch nicht die notwendigen Stellungnahmen der Gemeinden dazu kritisiert. Sondern ich habe Frau Rüngeling dafür kritisiert, dass sie als Bürgermeisterin über eine Strategie des Filibusterns nicht etwa die Bürgerinnenbeteiligung stärken, sondern das Verfahren zum Platzen bringen will. Eine solche Verhinderungstaktik ist etwas anderes, als die berechtigten Interessen einer Gemeinde und ihrer Bürgerinnen in das Verfahren einzubringen.
Wer also nicht abwägen will zwischen unterschiedlichen Standorten und ihren auch artenschutzrechtlichen Vor- und Nachteilen, sondern verhindern, muss sich die Fragen nach ihrer Haltung zum Klimaschutz gefallen lassen.
Das regionale Raumordnungsverfahren ist als kommunale Aufgabe dazu da, alle berechtigten Einwände von Gemeinden und Bürgerinnen und Bürgern abzuarbeiten. Dabei sind zudem die landesrechtlichen Vorgaben zu berücksichtigen. Nach dem neuen Windenergieerlass sollen in Niedersachsen 2,1% der Landesfläche für Windenergie zur Verfügung gestellt werden – sowie in etwa der gleichen Größenordnung Fläche für Fotovoltaik. Es kann daher von einem – wie Sie schreiben – „ungehemmten“ Ausbau der Windkraft nicht die Rede sein.
Im Gegenteil, sind die 2,1 % eher knapp gerechnet. Mit den landesrechtlichen Vorgaben werden die Ziele des bundesweit geltenden Klimaschutzgesetzes mit dem Zieljahr 2045 für Klimaneutralität nur zu erreichen sein, wenn zusätzlich der Windkraftausbau auf See massiv vorangetrieben wird. Allein durch Wind und Photovoltaik an Land wird der Ersatz der 50 % fossiler Stromerzeugung sowie die Deckung des für Mobilität, Wärme und Industrie noch einmal in gleichem Umfang nötigen zusätzlichen Strombedarfs nicht zu decken sein. Übrigens hat Off-Shore-Wind mit weniger protestierenden Anwohner*innen zu kämpfen, aber wirft ebenfalls beachtliche artenschutzrechtliche Konflikte auf.
Die Dekarbonisierung unserer Energieversorgung wird auch im Landkreis Göttingen zu einer wachsenden Stromnachfrage führen, etwa um Kohle befeuerte Öfen in Gießereien durch Stromschmelzen zu ersetzen. Dafür werden nicht nur zusätzlich Erzeugungskapazitäten sondern auch neue Infrastrukturen wie Leitungen gehören.
Wie dies konkret vor Ort ausgestaltet werden kann, daran werden und müssen die Bürgerinnen und Bürger im Rahmen des RROP beteiligt werden, damit eine Abwägung der Interessen stattfinden kann. Ihre inhaltlichen Einwendungen gegen den aktuellen Entwurf des RROP des Landkreises Göttingen werden Sie sicher auch in das Raumordnungsverfahren eingebracht haben
Die Hochwasser der letzten Tage zeigen uns die Versäumnisse von 30 Jahren steigender Treibhausgasemissionen auf. Wir werden uns an die Klimakrise nicht nur besser anpassen müssen, wir müssen den Eintrag von Treibhausgasen in die Atmosphäre drastisch senken. Dafür haben wir haben nicht dreißig Jahre weiter Zeit. Die Klimakrise hat auch Folgen für die Artenvielfalt hier. Dabei gibt es Gewinner und Verlierer.
Einer der Gewinner ist übrigens der Rotmilan, dessen Bestand in den letzten Jahren parallel zum Wachstum der Windenergie kontinuierlich anstieg. Was mich besonders freut – aber auch ich würde nicht auf die Wiederaufforstung der vom Borkenkäfer zerstörten Flächen verzichten wollen, nur weil der Rotmilan auf den entwaldeten Flächen sehr gute Nahrungsbedingungen vorfindet. Wollen wir Erosion verhindern und die natürliche Rückhaltefähigkeit des Waldes nutzen, müssen wir den Weg der naturnahen, diversen Wiederaufforstung gehen.
Wir Grüne setzen uns seit unserer Gründung für Natur- und Artenschutz ein. Ich bin sehr stark dafür kritisiert worden, dass es mit dem von uns novellierten Bundesnaturschutzgesetz eine Vorgabe von 5 -10 % der Fläche für Naturschutz geben sollte. Und Sie erinnern sich vielleicht noch, welche Widerstände der Kreis erfuhr, als er die Richtlinie Fauna-Flora-Habitat durch Ausweisung von Flächen mit mehr als einem Jahrzehnt Verspätung umsetzte. Interessanterweise finden sich unter den damaligen Gegnern der FFH-Gebiete Kräfte, die sich heute mit dem Hinweis auf den Artenschutz gegen Windkraft aussprechen.
Wir GRÜNE kämpfen für mehr Natur- und Artenschutz an Land und auf dem Meer.
Ohne eine intakte Natur gefährden wir unsere Lebensgrundlage. Saubere Luft,
fruchtbare Böden, Nahrungsmittel und Trinkwasser brauchen funktionierende
Ökosysteme. Doch auch diese bedroht die Klimakrise.
Ab dem 10. August radele ich unter dem Motto Tritt in die Pedale mit Jürgen durch den Landkreis. Dabei stehe ich gerne für Gespräche mit Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung. Die Fahrradtour führt mich am 16. August durch Dransfeld – wo die Rotmilane um die Windkraftanlagen kreisen. Von dort geht es nach Hann. Münden, wo ich den Tag mit einer öffentlichen Veranstaltung beschließe.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Jürgen Trittin
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