Jürgen Trittin auf dem Symposium „Die Zeit ist aus den Fugen“ bei den Salzburger Festspielen
Hört auf zu heulen – werdet erwachsen
Wie wir mit den globalen Großkrisen umgehen müssen
Sehr geehrte Frau Flaßpöhler,
sehr geehrter Herr Petrisch,
Meine Damen und Herren,
Vielen Dank für die Einladung zum Symposium „Die Zeit ist aus den Fugen“ bei den Salzburger Festspielen.
1 Hört auf zu heulen
Wo schon Shakespeare zitiert wird, darf ein anderer Sponti nicht fehlen.
„Die Zukunft ist auch nicht mehr, was sie mal war.“
Wer, wie ich, über 60 ist, dem wird die Richtigkeit dieser Feststellung sofort einleuchten. Aber meiner Generation von Boomern möchte ich zurufen:
„Hört auf zu heulen.“
Tatsächlich haben wir Glück gehabt. Dass wir ein halbes Jahrhundert im Frieden, bei wachsendem Wohlstand leben konnten, dass das Versprechen unserer Eltern wahr wurde, es soll uns mal besser gehen, ist eine historische Ausnahme.
Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte von Krisen.
Und bevor wir uns mit Joachim Meyerhoff verzweifelt fragen „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ wollen wir uns heute der Frage stellen, welche Krisen beenden gerade diese historische Ausnahme?
Ich möchte über drei Krisen sprechen, die sich gegenseitig überlagern und bestärken:
- Das Ende der marktgetriebenen Globalisierung
- Die Herausbildung einer multipolaren Welt
- Die sich verschärfende Klimakrise
Zwei dieser Krisen hatten ihren Anfang im Jahre 1979 genommen und sind dann später aufgebrochen. Die Klimakrise begleitet uns seit Beginn der Industrialisierung.
Alle drei Krisen sind dabei, die Welt aus ihren Fugen zu heben.
2 Das Ende des Neoliberalismus
1979 gewann Maggi Thatcher die britischen Unterhauswahlen. Der Neobliberalismus verbreitete sich über die Welt. In den USA senkte Roland Reagan die noch aus dem 2. Weltkrieg stammenden Steuersätze und entlastete die Reichen um Milliarden.
Ob österreichische Konservative oder deutsche Sozialdemokraten, ja selbst deutsche Grüne fanden die Logik von Markt statt Staat attraktiv, senkten Unternehmenssteuern und deregulierten den Arbeitsmarkt.
Das Ergebnis waren globale Wachstumsschübe, aber auch die Anhäufung unglaublicher Mengen an Kapital in immer weniger Händen.
Irgendwann besaß eine Busladung von Menschen so viel, wie der Rest der Menschheit zusammen.
Global wuchsen die Ungleichheit und die Prekarisierung der Lebensverhältnisse.
2008 brach dieses Wirtschaftsmodel in der Lehman-Krise zusammen. Plötzlich musste ein starker Staat den Markt retten. Die Weltwirtschaft konnte nur mit massiven staatlichen Investitionen gerettet werden.
Der Neoliberalismus war gescheitert.
Und das letzte Beispiel war eine Covid-Krise, in der Europa plötzlich nicht mehr über eine Maskenherstellung verfügte.
Das Scheitern der marktgetriebenen Globalisierung haben Friedrich Merz und Christian Lindner bis heute nicht verstanden. Aber auch andere haben sich geirrt.
Die politische Linke und Grüne etwa, die glaubten, mit dem Scheitern des Neoliberalismus gäbe es nun eine Renaissance eines ökokeynesianischen Wohlfahrtsstaates. In Wahrheit geschah etwas anderes.
Das Ende des Neoliberalismus hat Rechtspopulismus und Rassismus den Weg bereitet.
Jahrzehnte, in denen der Staat aus den Regierungen heraus schlecht gemacht wurde, hat den Boden für die Verachtung demokratischer Institutionen bereitet, wie sie heute von Donald Trump wie Viktor Orban gelebt wird.
Die Logik Wenn jeder an sich selbst denkt, ist an alle gedacht, hat die Idee von Gesellschaft vielfach in Vergessenheit geraten lassen.
Statt auf Gerechtigkeit in der Gesellschaft, setzten viele auf den Erhalt ihrer bedrohten Statusprivilegien – um den Begriff von Wilhelm Heitmeyer zu verwenden. Der eigene Status erscheint nicht von den Superreichen bedroht, sondern von den Schichten, in die man in der prekarisierten Arbeitswelt abzusteigen droht – oder auch von den besser ausgebildeten Frauen.
Rassismus und Frauenfeindlichkeit wurden mit dem Scheitern des Neoliberalismus populär.
Statt Ansprüche gegenüber denen da oben zu formulieren, wird nach unten getreten. Antieuropäische, rechtspopulistische Haltungen eines Bernd Lucke oder Hans-Olaf Henckel radikalisierten sich in der AfD zu offen faschistischen Haltungen, für die Björn Höcke steht.
Faschistische Parteien wachsen in Spanien, sie regieren in Finnland wie in Italien. Ein faschistischer Mob hat mit dem Sturm auf Kapitol versucht, die Ergebnisse der US-Präsidentenwahl zu blockieren. Es war der Versuch eines Staatsstreichs im Mutterland der Demokratie.
Die kapitalistischen Demokratien stecken in einer tiefen Krise. Für diese Krise trifft der Buchtitel von Madeleine Albrights letztem Buch zu
„Faschismus – eine Warnung“.
3 Multipolar
1979 brach die Islamische Revolution die Vorherrschaft der USA im Iran.
In Polen läuteten 1979 katholische Werftarbeiter mit ihren Streiks das Ende des Warschauer Pakts und der Sowjetunion ein.
Hier wurden die Grundlagen gelegt für das Ende der bipolaren Weltordnung nach dem 2. Weltkrieg.
Für Europa – Wolfgang Petritsch – weiß das besser – hieß das Ende der Blockkonfrontation zunächst die Rückkehr des Krieges auf den Kontinent im Zerfall Jugoslawiens. Aber es hieß eben auch Erweiterung der Europäischen Union, die Erweiterung des Raumes der Demokratie wie eines gemeinsamen Marktes.
Und so herrschte die Idee vor, dass sich die Welt insgesamt auf den Weg zu Demokratie und kapitalistischer Marktwirtschaft machen würde. Zur Not würde die einzige verbliebene Supermacht dafür sorgen.
Diese unilaterale Welt scheiterte, bevor sie begann.
Sie scheiterte in den Interventionen der USA im Irak, in der Intervention Frankreichs und Großbritanniens in Libyen. Die NATO scheiterte in Afghanistan.
Doch es war mehr als ein militärisches Scheitern. Die Idee, dass der demokratische Kapitalismus unaufhaltsam auf dem Siegeszug sei, ist gescheitert.
Auch dies hat mit 1979 zu tun. Ein Jahr, nachdem Deng Xiaoping die Öffnung Chinas verordnet hatte, erkannten die USA das eine China an. Die Öffnung Chinas ermöglichte ein beispielloses gesellschaftliches Projekt.
800 Millionen Menschen wurden aus der Armut geholt. China wurde zu einer der großen Wirtschaftsmächte der Welt und bemüht sich, Europa wie die USA zu überholen. Es schaffte diesen Aufschwung, trotz des Massakers am Platz des Himmlischen Friedens und mit einer zunehmend autokratischer werdenden Entwicklung.
China wurde zum alternativen Rollenmodell gegenüber dem demokratischen Kapitalismus.
Das umso mehr, als unter dem Ost-West Konflikt des Kalten Krieges der Nord-Süd-Konflikt munter weiter wirkte. Für die meisten Länder des globalen Südens sind Europa und die USA weniger der Hort der Demokratie und der Menschenrechte, sondern die alten Kolonialmächte.
Das Ergebnis ist eine neue multipolare Weltordnung.
In ihr spielen Länder wie Brasilien, Südafrika oder Indien eine zentrale Rolle. Aber diese Demokratien haben wenig Neigung, sich in einem Systemwettbewerb zwischen Autokratie versus Demokratie hinter den alten Kolonialmächten zu versammeln.
Genau dies erfahren wir gerade im Ukraine-Krieg. Russlands Angriffs-Krieg hat den konventionellen Krieg zwischen Staaten zur neuen-alten Realität Europas werden lassen.
Der Ukraine-Krieg ist kein rein europäischer Krieg – er ist ein Krieg um eine neue Weltordnung.
Und das nicht nur wegen seiner Auswirkungen auf die Welternährung. Im Kern geht es um die Frage, nach welchen Regeln die multipolare Weltordnung funktioniert.
Wollen wir in einer Welt leben, in dem die stärksten Pole aus der Definition ihrer Einflusssphären die Souveränität anderer Nationen begrenzen – oder wollen wir die Grundelemente einer regelbasierten, multilateralen Welt erhalten und ausbauen?
Kurz: Gilt das Recht des Stärkeren oder stärken wir die Herrschaft des Rechts?
Für letzteres dürfte ein starkes Europa gerade im globalen Süden viele Bündnispartner finden, die sich weder zwischen einer Google-Welt oder einer Baidu-Welt, entscheiden wollen, die nicht zurück in eine neue Bipolarität wollen.
4 Wider besseren Wissens
Der Ukraine-Krieg ist auch ein Krieg über das Ende des fossilen Wohlstandsmodells. Er hat nicht nur deutlich gemacht, dass eine Autokratie, die auf dem staatsmonopolistischen Export fossiler Ressourcen beruht, keine Zukunft hat. Es hat auch gezeigt, in welch politische und wirtschaftliche Abhängigkeit sich ein Europa gebracht hat, dass 80 bis 90 Prozent seiner Energie, Öl, Gas, Kohle wie Uran importiert.
Europäische Souveränität muss diese Abhängigkeit überwinden.
Vielleicht hilft diese Erfahrung, das gigantische Handlungsdefizit beim Klimaschutz zu mindern. Die Welt treibt die Klimakrise voran – obwohl sie es besser weiß.
Zweidrittel der in der Atmosphäre eingelagerten Treibhausgase stammen aus den vergangenen 40 Jahren – das ist die Frist seit der Verabschiedung der Klimarahmenkonvention.
Wir wissen, dass die Einlagerung von Treibhausgasen, die globale Klimakrise vorantreibt. Weder das überschwemmte Slowenien noch die Feuer auf Hawaii und Rhodos, noch die verdoppelte Zahl von Klimaflüchtlingen haben bisher verhindern können, dass jedes Jahr die Treibgasemissionen global steigen – von Covid nur unterbrochen.
Die Klimakrise verschärft sich schneller als in allen Prognosen vorhergesagt.
Inzwischen überlegt die Tui, ob es noch ein Geschäftsmodell, sein kann, im Sommer Reisen ans Mittelmeer anzubieten.
5 Erwachsen werden
In diesen drei globalen Krisen der Ungleichheit, der Unordnung, der Klimakrise gerät die Welt aus den Fugen. Schlimmer noch, alle drei Krisen bestärken sich gegenseitig.
So reden alle politischen Strömungen von der Beseitigung von Fluchtursachen. Ein blanker Euphemismus. In Wahrheit wachsen die Fluchtursachen. Dürre und Trockenheit, Ressourcenkriege, mangelnder Zugang zu Nahrung wie Energie nehmen ebenso zu wie Kriege.
In Äthiopien starben in den letzten zwei Jahren mehr Menschen als in der Ukraine – im Kongobecken tobt seit 30 Jahren eine Afrikanischer Weltkrieg.
Es nützt nichts, sich in dieser Situation, die Decke über den Kopf zu ziehen und zu glauben, es sehe einen keiner. Nichts anderes ist der Glaube, man könne einfach immer weiter mit Gas der OMV aus Russland heizen – oder mit Abschottung und Abschiebung Migration verhindern.
Wir müssen erwachsen werden. Wir müssen raus aus der kindlichen Regression.
Bezogen auf die drei Krisen heißt das:
- Wir brauchen einen handlungsfähigen, investiven Staat, der dem Markt einen funktionalen Rahmen setzt und für Teilhabe sorgt. Teilhabe – nicht gesellschaftliche Spaltung. Dazu gehört ein soziale Sicherheit – aber wir dürfen Faschisten keine Macht übertragen.
- Souveränität in einer multipolaren Welt gibt es nur bei Stärkung der europäischen Souveränität – weder Österreich noch Deutschland allein sind dafür groß genug. Dafür darf die Ukraine nicht überrannt Dafür bedarf es der Zusammenarbeit mit den wichtigen Akteuren des Globalen Südens. Und Europa muss sich für die Wiederkehr einer US-Politik wappnen, die uns nicht nur als „worse than China“ bezeichnete, sondern auch so behandelt.
- Wir müssen den Eintrag weiterer Treibhausgase mindern. Mit dem Green Deal in Europa, dem Inflation Reduction Act in den USA, den massiven Investitionen in Erneuerbare in China werden hier wichtige Schritte gegangen. Die größten Verursacher für die Klimakrise aber müssen für die Beseitigung von Schäden und Verlusten wie für Anpassungsmaßnahmen aufkommen – und wir brauchen ein globales Ziel zum Ausbau erneuerbarer Energien, um die wirtschaftliche Entwicklung von steigenden Emissionen global abzukoppeln.
Zugegeben – das ist komplizierter, als sich die Decke über den Kopf zu ziehen. Aber es ist nicht so albern, wie zu jammern „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“.
Mein Vorschlag:
Hört auf zu heulen – werdet erwachsen. Das hat Zukunft.
Vielen Dank
Verwandte Artikel
Alles muss anders bleiben – Sicherheit in der Veränderung
Liebe Steffi, Vielen Dank. Du bist nach mir die zweite Grüne, die das Bundesumweltministerium leitet. Der Artenschutz, der Naturschutz haben es heute schwerer als zu meiner Zeit. Wenn rechtspopulistische Bauern auf ihren 100.000 Euro teuren Treckern glauben machen können, ihre wirtschaftliche Zukunft hänge am Umpflügen von Blühstreifen – dann stimmt etwas nicht in diesem Land….
Weiterlesen »
Energiewende in Deutschland – und der Welt: Rede bei der 3. KlimAKonferenz am 17.09.24 in Berlin
Lieber Christian Theobald, Meine Damen und Herren, Vielen Dank für die Einladung. 1 Global Denken – Lokal handeln Aber ich wundere mich, dass sie mich eingeladen haben. Denn folgt man Sarah Wagenknecht, Markus Söder oder Stefan Brandner – also BSW, CSU oder AfD – dann sind „Die Grünen die gefährlichste Partei Deutschlands“. Warum sind wir…
Weiterlesen »
Laudatio Göttinger Friedenspreis an Angela Kane: Ein Leben für starke Vereinte Nationen
Es ist mir eine große Ehre, Ihnen heute zum Göttinger Friedenspreis 2024 zu gratulieren. Sie haben diesen Preis nicht nur verdient. Sie haben ihn sich selbst verdient. Dass Sie einmal bis zur Undersecretary General der Vereinten Nationen aufsteigen würden, war in Ihrer Jugend in Hameln nicht absehbar. Sie waren mit ihren Studien von München bis John Hopkins gut vorbereitet – doch der Aufstieg zum USG ist bei den Vereinten Nationen kein selbstverständlicher. Das umso weniger, als deutsche Außenpolitik Sie als Deutsche bei den Vereinten Nationen erst sehr spät wahrgenommen hat. Bis heute ist die Personalpolitik Deutschlands in Internationalen Organisation unsystematisch und wenig professionell – wie man zuletzt beim Internationalen Strafgerichtshof erleben konnte.
Weiterlesen »
Kommentar verfassen