Zum Tod von Henry Kissinger erklärt Jürgen Trittin, außenpolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen und Vorsitzender der Deutsch-Amerikanischen Parlamentariergruppe
Henry Kissinger hat über Jahrzehnte die internationale Politik nicht nur der Vereinigten Staaten von Amerika geprägt. Er war ein Weltpolitiker. Im Alter von 100 Jahren ist Henry Kissinger gestorben – bis zuletzt einer der gefragtesten Analytiker und Ratgeber für Außenpolitiker auf der ganzen Welt.
Er, der vor dem Terror der Nazis aus seiner Heimat Fürth fliehen musste, der mit der Waffe in der Hand Deutschland vom Faschismus befreite, wurde zum Doyen der realpolitischen Schule in der Außenpolitik. Sein Denken in Macht und Einflusssphären prägte die Außenpolitik in der Blockkonfrontation – und legte die Grundlage für das Ende des Kalten Krieges.
Um den Einfluss der Sowjetunion zu mindern, ließ der fränkische Antifaschist ganz Südamerika von Militärdiktaturen kujonieren – bis hin zum von den USA gesponsorten Putsch in Chile von genau 50 Jahren. Nachdem der Versuch Vietnam (und Kambodscha) in die Steinzeit zurück zu bombardieren, gescheitert war, beendete er spät aber konsequent den US-Krieg gegen Vietnam, wofür er den Friedensnobelpreis bekam.
Die Schwächung der Sowjetunion leitete auch seine Politik der Öffnung gegenüber dem China Mao Zedongs. Wenn China sich heute rühmt, 800 Millionen Menschen aus der Armut geholt zu haben, so hat Henry Kissinger mit seiner Öffnung dafür eine der Grundlagen geschaffen.
Henry Kissingers strategisches Denken hat in einer multipolar gewordenen Welt neue Aktualität gewonnen. Es unterscheidet sich von einem messianischen Demokratieexport, der George W. Bush in das Irak-Desaster führte. Das unilaterale Zeitalter endete so, bevor es richtig begann. Heute können wir in einer Welt multipler Krisen mit Henry Kissingers Brille besser lesen, was die Kriege von der Ukraine über den Sahel bis Nahost an Interessenwidersprüchen verbindet. Es geht um eine neue Weltordnung.
Doch die realpolitische Schule hat auch Defizite. Die Geringschätzung der inneren Dynamik einer Gesellschaft hat die Konsequenzen für die internationale Politik oft unterschätzt. Das revisionistische Russland unter Putin ist nicht die Status Quo fixierte Sowjetunion. Das China von Xi Jinping hat sich von der Politik Deng Xiaopings verabschiedet.
Mit Henry Kissinger starb ein großer außenpolitischer Denker. Die Welt ist um einen Weltpolitiker ärmer geworden. Wir trauern um ihn.
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