Angela Kane: Abrüstung und Friedenssicherung
Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin,
liebe Petra Broistedt,
Sehr geehrte Frau Baran,
liebe Dagmar Freudenberg,
lieber Hausherr Erich Sidler,
vor allem aber, verehrte Angela Kane
Es ist mir eine große Ehre, Ihnen heute zum Göttinger Friedenspreis 2024 zu gratulieren.
Ich war schon mal für eine Ladatio – auf Amnesty International – hier vorgesehen. Doch diesmal hinderten mich nicht wie 2010 äußere Umstände dem nach zu kommen – auch wenn sich Klaus Weselsky redlich Mühe gegeben hat.
1 Selbst verdient
Sie haben diesen Preis nicht nur verdient. Sie haben ihn sich selbst verdient.
Dass Sie einmal bis zur Undersecretary General der Vereinten Nationen aufsteigen würden, war in Ihrer Jugend in Hameln nicht absehbar. Sie waren mit ihren Studien von München bis John Hopkins gut vorbereitet – doch der Aufstieg zum USG ist bei den Vereinten Nationen kein selbstverständlicher.
Das umso weniger, als deutsche Außenpolitik Sie als Deutsche bei den Vereinten Nationen erst sehr spät wahrgenommen hat. Bis heute ist die Personalpolitik Deutschlands in Internationalen Organisation unsystematisch und wenig professionell – wie man zuletzt beim Internationalen Strafgerichtshof erleben konnte.
Im Ergebnis ist die Repräsentanz des zweitgrößten und verlässlichen Beitragszahlers bei den VN nicht nur schlechter als die großer Staaten. Auch viele kleinere Länder bekommen das sehr viel besser hin.
Sie haben Ihren Weg trotz der Personalpolitik der Bundesrepublik gemacht – herzlichen Glückwunsch dazu.
2 Der Kampf um Demokratie und Menschenrechte
Als wir uns am Hudson River zu New York die ersten Male begegneten, waren Sie bereits Assistent Secretary General für politische Angelegenheiten.
Dafür brachten Sie reichlich Erfahrungen mit. Von Friedensmissionen in Äthiopien und Eritrea bis zu Einsätzen in El Salvador, Guatemala oder im Kongo.
Die Vereinten Nationen sind nach dem 2. Weltkrieg gegründet worden, um Kriege zwischen Staaten möglichst zu verhindern. Doch in diesen Konflikten ging es nicht oder nicht nur um Kriege zwischen Staaten.
Wir Europäer sind erschüttert, über die Rückkehr des Angriffskrieges nach Europa. Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine führt in eine Zeit zurück, die wir mit dem Vertrag von Helsinki, mit der Charta von Paris überwunden glaubten.
Alle Staaten Europas haben sich 1975 in der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit verpflichtet, keine Grenzen in Europa gewaltsam zu verändern und auch auf die Androhung von Gewalt zu verzichten.
Krieg zwischen Staaten kannten wir seit den Zeiten von Willy Brandt, Egon Bahr und Leonid Breshnew in Europa nicht mehr.
Was die Sowjetunion Breshnews vereinbarte – wird heute von Putins Russland in der Ukraine mit Stiefeln zertreten.
Doch die Abwesenheit zwischenstaatlicher Kriege in Europa bedeutete nicht Frieden in der Welt.
Gerade in den Ländern des globalen Südens machten sich Kriege neuen Typs breit. Bürgerkriege, Aufstände gegen Diktaturen, antikoloniale Befreiungskriege.
In diesen Kriegen agierten nicht nur staatliche Akteure. Hier kämpfen Soldaten und Söldner, Freiheitskämpfer und Terroristen, ebenso wie kriminelle Warlords. Politische und geschäftliche Interessen verschwimmen. Zwischen äußerer Bedrohung und inneren Angelegenheiten lässt sich nicht mehr unterscheiden.
Die „Bewahrung des Friedens“ und der „internationalen Sicherheit“ ist die Kernaufgabe der Charta der Vereinten Nationen. Dafür sollen sie die „Zusammenarbeit zwischen den Nationen“ verbessern.
Die Vereinten Nationen sind ein Bündnis von Nationen. Die neuen Kriege aber bedrohen den Frieden und die Sicherheit durch Konflikte in den Staaten.
Das waren die Herausforderung in ihren Missionen, liebe Angela Kane.
Es war mit Konflikten verbunden. Frau macht sich keine Freunde, wenn sie für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, für die universellen Menschenrechte in El Salvador oder Guatemala einsetzt. Sie haben sich dieser Herausforderung gestellt.
Sie waren eine der Ersten, die die systematische Anwendung sexueller Gewalt besonders gegen Frauen etwa im Kongo thematisiert haben.
Im Kongo tobt ein mittlerweile dreißigjähriger Krieg. In ihm ist Vergewaltigung ein Mittel der Kriegsführung.
Das anzusprechen, dagegen zu arbeiten, bedurfte es Mut.
Sie, Angela Kane, haben diesen Mut bewiesen. Danke.
Auch dafür erhalten Sie heute den Göttinger Friedenspreis 2024.
3 Chemiewaffen in Syrien
Einer der brutalsten Kriege neuen Typs tobte und tobt seit 2011 in Syrien. Eine halbe Million Menschen starben bisher. Heute sind mehr als die Hälfte der Bevölkerung vertrieben – im Land oder ins Ausland. Es ist nach Angaben der VN die schlimmste Flüchtlingskrise seit dem Völkermord in Ruanda.
Was als brutale Unterdrückung einer breiten Demokratiebewegung begann, führte in einen Bürgerkrieg. Verschärft wurde der Konflikt durch massive Dürren als Folgen der Klimakrise.
Diesen Bürgerkrieg sahen andere Staaten als Gelegenheit, in Syrien direkt und indirekt ihre Interessen gewaltsam durchzusetzen.
Europa unterstützte die Opposition politisch. Die Golfstaaten sahen die Chance, die Herrschaft einer städtischen, schiitischen Minderheit über eine sunnitische Bevölkerung auf dem Land zu beenden und setzten mit Geld und Waffenlieferungen auf einen regime change.
Der Iran wollte die Herrschaft Assads sichern und schickte seine Revolutionsgarden unterstützt durch Libanons Hisbollah.
Im Osten Syriens breitete sich, ausgelöst durch den Krieg der USA gegen den Irak der Islamische Staat aus. Die USA bekämpften in Syrien wie dem Irak den IS aus der Luft und am Boden mit ihren kurdischen Verbündeten.
Russland wollte um jeden Preis seinen militärischen Stützpunkt im westlichen Mittelmeer bei Latakia erhalten.
Die Türkei fürchtete einen autonomen Kurdenstaat und fühlte sich von der Zahl der Flüchtenden bedroht. Sie schickte Truppen nach Syrien, kooperierte mit dem IS, bedrohte selbst die USA und betreibt bis heute ethnische Säuberungen in den ehemals kurdischen Gebieten.
Am Ende überwog das gemeinsame Interesse Russlands und der USA, den IS zu bekämpfen.
Mit der Unterstützung der Russen und des Iran sicherte sich Assad seine Herrschaft über ein zerstörtes wie zerstückeltes Land. Dennoch wurde Syrien, das den ganzen Nahen Osten mit der Droge Captagon überschwemmt, wieder in die Arabische Liga aufgenommen.
Für seinen Machterhalt schreckte Assad vor keinem Kriegsverbrechen zurück. Zu diesen Kriegsverbrechen gehörte auch der Einsatz von Chemiewaffen – unter anderem am 21. August 2013. Damit war eine von US-Präsident Barack Obama öffentlich gezogene rote Linie überschritten.
Ein militärisches Vorgehen der USA gegen die Chemiewaffen in Syrien hätte die informelle Arbeitsteilung zwischen Russland und den USA zerstört. Bis dahin überwachte Russland den Luftraum im Westen Syriens – und die USA im Osten. Würden die USA Obamas Ansage umsetzen, den Einsatz von Chemiewaffen militärisch zu beantworten, drohte aus dem russisch-amerikanischen Deconflicting (so die US-Botschafterin Susan Rice) eine Konfrontation der beiden Großmächte zu werden.
Dass es diese Eskalation nicht gab, ist zwei Frauen zu verdanken. Eine sind sie.
Die andere heißt auch Angela. Angela Merkel.
Als Hohe Vertreterin für Abrüstungsfragen der VN leiteten Sie die Mission, die das Vorhandensein und auch den Einsatz dieser Massenvernichtungswaffen in Syrien bestätigte.
Ihre Mission in dem Land war massiven Bedrohungen ausgesetzt. Sie haben viel riskiert.
Sie legten aber damit die Grundlage, dass diese Massenvernichtungswaffen aus Syrien in einer internationalen Mission abtransportiert und am Ende in Munster vernichtet werden konnten – beteiligt waren NATO-Staaten ebenso wie Russland.
So sieht Friedenssicherung und Abrüstung sehr praktisch aus.
Ohne Ihren Einsatz wäre auch das Bemühen von Angela Merkel nicht erfolgreich gewesen. Die Bundeskanzlerin wollte diese Eskalation verhindern. Ihr gelang es, sowohl Obama wie Putin von dieser Lösung zu überzeugen. Ein von den Vereinten Nationen organisierter Abtransport dieser Massenvernichtungswaffen war ein für alle Seiten gesichtswahrender Ausweg.
Danke dafür.
Erlauben Sie mir eine Nebenbemerkung. Es ist in der CDU modern geworden, Angela Merkel entweder für alles Schlechte verantwortlich zu machen oder sie tot zu schweigen. Dabei haben mit ihr CDU und CSU 16 Jahre dieses Land regiert.
Ich habe keinen Grund, Angela Merkel nach dem Mund zu reden. Ich habe 16 Jahre gegen sie und CDU/CSU Opposition gemacht. Ich habe ihre Haltung zum Überfall der USA auf den Irak 2003 grottenfalsch gefunden.
Aber: Angela Merkel hat Deutschland nicht nur aus der fatalen Libyen-Intervention herausgehalten.
Angela Merkel hat mit ihrem Einsatz für die Beseitigung der Chemiewaffen auch eine Eskalation im Syrien-Krieg mit unabsehbaren Folgen verhindert.
Ohne Ihre Arbeit, Frau Kane, wäre das nicht gelungen.
4 Abrüstung in Zeiten der Aufrüstung
Der Abrüstung sind Sie auch nach ihrer Pensionierung verpflichtet.
Abrüstung ist in Zeiten der Aufrüstung noch schwerer geworden.
Russlands Angriffskrieg hat schonungslos die Defizite der Landesverteidigung Deutschlands bloßgelegt.
Die Freigabe von NATO-Staaten zum Überfall durch Putin durch Trump zeigt, dass wir unsere Sicherheit perspektivisch unabhängig von den USA machen müssen. Inzwischen befürchten selbst ehemalige Republikaner wie Robert Kagan, dass die Präsidentschaftswahlen in die – ich zitiere – „Trump-Diktatur“ führen können.
Deutschland und Europa stehen hier vor gewaltigen Herausforderungen.
Deutschland gibt darauf widersprüchliche Antworten.
- Mit dem Sondervermögen werden F 35 Kampfjets gekauft, um die Teilhabe an US-Atomwaffen
- Zusammen mit den NATO-Staaten Norwegen und Belgien ist Deutschland Beobachter beim Atomwaffen-Verbots-Vertrag
Letzteres ist eine Antwort darauf, dass der Atomwaffensperrvertrag in einem entscheidenden Punkt gescheitert ist. Die von den Atommächten vertraglich zugesagte nukleare Abrüstung stagniert seit einem Jahrzehnt. Im Gegenteil.
Alle Atommächte, die USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich, modernisieren ihr Atomwaffenarsenal und rüsten auf.
Wir erleben eine Renaissance der nuklearen Abschreckung. Das ist nichts anderes die Drohung mit dem gemeinsamen Selbstmord – wir könnten auch sagen mit dem Untergang der Menschheit. Es würde den Rahmen dieser Laudatio sprengen, diese Widersprüche näher zu beleuchten.
Aber selbst in Zeiten gegenseitiger Aufrüstung, gibt es, wie einst im Kalten Krieg, ein Interesse an gegenseitiger Rüstungskontrolle. Sie ist zudem Voraussetzung für jede Form vereinbarter Abrüstung.
Dafür brauchen wir Verträge wie den Atomwaffenverbotsvertrag. Dafür brauchen wir starke internationale Institutionen, wie etwa die IAEO.
Dafür brauchen wir starke Vereinte Nationen.
Diesen Vereinten Nationen haben Sie, Frau Kane ihr berufliches Leben gewidmet. Diese Vereinten Nationen voranzubringen, dafür setzen Sie sich heute noch ein.
Etwa im Rahmen der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, der DGVN.
Auch dafür erhalten Sie heute den Göttinger Friedenspreis.
5 Starke Vereinte Nationen
Diese Initiative ist dringend notwendig. Denn es ist modern geworden gegen die Vereinten Nationen und ihren Generalsekretär António Guterres zu polemisieren, weil sie auf die Einhaltung klarer Normen des Völkerrechts pochen.
Organisationen der Vereinten Nationen für humanitäre Hilfe wie OCHA und UNWRA werden mit Boykottaufrufen überzogen. Dabei ist die Lage rechtlich einfach:
Wer möchte, dass Europa und Deutschland die Finanzierung des Palästinenserhilfswerks UNWRA einstellen, plädiert dafür, dass Israel die Kosten für Humanitäre Hilfe, Gesundheitsvorsorge und Bildung in Gaza und der Westbank übernimmt.
Dazu ist Israel als Besatzungsmacht völkerrechtlich verpflichtet.
Dass diese Kosten über Jahrzehnte von der internationalen Gemeinschaft, besonders von Europa und Deutschland, übernommen wurden, ist richtig – aber kein Grund sie dafür zu beschimpfen.
Wir werden Zeuge, wie heute Staaten die globale Organisation für den Erhalt des Friedens und der Sicherheit immer wieder und stärker blockieren. Es ist bizarr, dass diese Blockade häufig von jenen Staaten ausgeht, die als ständige Vertreter im Sicherheitsrat der VN eine besondere Rolle und eine besondere Verantwortung innehaben – den P5.
Die Instrumentalisierung des Vetos für die egoistische nationale Interessen ist von allen P5-Staaten praktiziert worden – am stärksten von der Sowjetunion/Russland und den USA, auch von Frankreich und Großbritannien, die sich zuletzt stärker zurücknahmen. Dafür häuften sich zuletzt Vetos aus China, das bis dahin sehr zurückhaltend damit war.
Dass dort, wo P5-Staaten selbst in völkerrechtswidrige Kriege verstrickt waren, sei es in US-Kriegen gegen Vietnam, dem Irak oder dem Angriff der Sowjetunion auf Afghanistan oder jetzt Russlands auf die Ukraine ist bitter, aber überrascht nicht wirklich.
Deshalb musste Deutschland den Weg über die Generalversammlung gehen, in der eine riesige Mehrheit der Vereinten Nationen Russlands Überfall auf die Ukraine verurteilte. Aber ohne verbindliche Folgen. Den Sicherheitsrat blockierte Russland. Bitter.
Noch mehr aber treiben mich Vetos um, mit denen die Vereinten Nationen von P5-Staaten daran gehindert werden, ihrer Basisaufgabe nachzugehen:
Menschen in Not humanitäre Hilfe zukommen zu lassen.
Russland blockierte mehrfach – und in klammheimlicher Kooperation mit Erdogan – den Transport von Hilfsgütern in das belagerte Idlib in Syrien.
Aktuell schauen wir mit Entsetzen auf den Krieg im Gaza. Dieser erneute Gaza Krieg wurde ausgelöst durch das größte antisemitische Massaker seit dem Nationalsozialismus. Ihm fielen 1200 Menschen zum Opfer. Noch immer harren über 100 Geiseln auf ihre Befreiung. Verantwortlich ist eine Bande Moslembrüder namens Hamas.
Israel hat nicht nur das Recht, sondern die Pflicht die Bedrohung seiner Bevölkerung durch die Hamas abzustellen.
Der Kampf gegen die Bedrohung durch die Hamas hat mittlerweile 30.000 palästinensische Opfer gefordert. Über 1 Million Menschen wurden vertrieben. Nun drohen mit der angekündigten Offensive in Rafah weitere Opfer.
Das ist der Grund, warum die deutsche Bundesregierung auf eine humanitäre Waffenruhe drängt. In Israel forderten Tausende einen Waffenstillstand – auch um die Geiseln freizubekommen. Die Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand haben in der VN-Generalversammlung ungefähr so viele Staaten unterstützt, wie Deutschlands Resolutionen gegen Russlands Krieg in der Ukraine.
Im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen stimmten 13 der 15 Mitglieder dem Vorschlag Algeriens für eine Waffenruhe zu – darunter Frankreich, Slowenien, die Schweiz, Japan und Südkorea. Großbritannien enthielt sich. Nur das Veto der USA blockierte den Beschluss.
Erneut verhinderte das Veto eines ständigen Mitglieds, dass die Vereinten Nationen ihrer Kernaufgabe nachkamen, Menschen in der Not des Krieges humanitäre Hilfe zukommen zu lassen.
Nein, nicht die VN sind schwach.
Die Vereinten Nationen werden von Großmächten geschwächt.
Deshalb brauchen wir Reformen, die einen Missbrauch des Vetos einschränken. Nur so stärken wir die globale Governance der Vereinten Nationen.
Dafür brauchen wir Initiativen wie DGVN. Dafür brauchen wir Ihr Engagement, liebe Angela Kane. Nehmen Sie diesen Preis auch als Ermutigung für Ihr Engagement.
Für starke Vereinte Nationen.
Danke
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