Und Tschüss! Warum ich nach 25 Jahren mein Mandat niederlege

Liebe Freundinnen und Freunde,

Liebe Britta, Liebe Katharina Herzlichen Glückwunsch zur Wiederwahl. Ihr ward so nett, mir zum Beginn unserer regulären Fraktionssitzung das Wort zu geben.

Vor einigen Wochen meinte Paula, sie hätte sich ja wohl auf meinen Platz gesetzt. Wir sind alle Gewohnheitsmenschen. Wenn die Handtuchregel auch künftig gilt, wird hier ab Januar der Platz von Ottmar von Holtz sein.

Ottmar wird für mich nachrücken. Ich werde im Januar mein Mandat niederlegen.

Ottmar kennt die Arbeit in der Fraktion. Er war von 2017 bis 2021 Mitglied der Fraktion. Manche kennen ihn als aktuellen Sprecher der BAG Internationales und Frieden.

Warum höre ich in der Mitte der Legislaturperiode auf?

Für einen politischen Menschen gibt es keinen guten Zeitpunkt aufzuhören.

Irgendwas ist immer, wo wir meinen gebraucht zu werden, wo wir nicht stillsitzen können und zuschauen. Ihr habt selbst gesehen, was mich in den letzten Wochen angetrieben hat – vom Terror der Hamas und dem Krieg im Gaza bis zur Klimaaußenpolitikstrategie.

Doch wir reden nicht vom Ende der Politik, sondern vom Ende meines Mandats.

Ich finde, 25 Jahre Bundestag sind ein guter Grund.

Klar war schon vor der Wahl, dass ich nicht wieder kandidieren würde. Ich habe die Entscheidung, zur Mitte der Legislaturperiode aufzuhören, im Sommer getroffen. Die einzigen, die ich vor einigen Monaten davon unterrichtet habe, waren meine Vorsitzenden, Britta und Katharina.

Ich bin Euch beiden dankbar, wie Ihr mit der Nachricht, die Euch nicht gefiel, umgegangen seid.

Im Sommer war mir klar, dass ich am 27. September 25 Jahre Abgeordneter im Deutschen Bundestag werden würde.

Vor fast 40 Jahren wurde ich zum ersten Mal Parlamentarier. Es wären genau 40 geworden, hätte damals die CDU nicht die Zwei Jahres Rotation der Grünen blockiert. So wurde ich per Staatsgerichtshofsurteil erst 1985 Landtagsabgeordneter.

Ich gehe in Gelassenheit und Dankbarkeit. Ich habe unserer Partei und dieser Fraktion viel zu verdanken. Ich konnte in meinen politischen Leben vieles tun, was ich vorher nicht geglaubt habe.

  • Ich wurde 1990 Bundes- und Europaminister der ersten rot-grünen Landeskoalition, die vier Jahre gehalten Ich war wegen des Scheiterns der West-Grünen an der 5 % Hürde zeitweilig der einzige West-Grüne, der im Deutschen Bundestag reden konnte – auch gegen den Asylkompromiss von 1993.
  • Ich war Parteivorsitzender der Grünen, als wir 1998 16 Jahre Helmut Kohl beendeten, und wurde ihr erster Bundesumweltminister.
  • Ich durfte zweimal die Grünen als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl führen – einmal mit Renate, einmal mit Katrin. Wir erzielten 2009 das lange beste Ergebnis aller Zeiten, und ich erlitt 2013 eine bittere Niederlage.

Für all das sage ich Danke.

Aber wenn Ihr mich fragt, was mein schönster Job war:

Ich war am liebsten Fraktionsvorsitzender.

Wenn Britta und Katharina irgendwann in einem Ministerium sitzen oder durch die Dolomiten wandern, werdet ihrmir recht geben. Nichts ist schöner, als dieser streitbaren Fraktion vorzusitzen, die so bunt ist und doch zu so viel Gemeinsamkeit und Geschlossenheit in der Lage ist.

Einer Fraktion, in der so überaus engagierte, kluge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, geführt von Annette, arbeiten. Und in den vielen Abgeordnetenbüros, nicht nur Julia, Viktoria, Herdis, Lars, Sascha, Malte und Gregor aus meinem Büro. Bei Euch allen möchte ich mich bedanken.

In dieser Fraktion offenbart sich eine Vielfalt an Erfahrungen und Einstellungen. Nur ein Beispiel: Frank hat eben als Ältester hier die Wahl geleitet. Als ich in Hannover Minister war, war Frank  ÖTV Bezirkssekretär und quälte uns mit seinem Personalvertretungsgesetz. Zum gleichen Zeitpunkt saß die zweijährige Shahina in der von mir eingerichteten Zentralen Anlaufstelle in Braunschweig – geflohen über Neu-Delhi aus Afghanistan.

Heute arbeiten wir drei gemeinsam in dieser grünen Fraktion und verändern dieses Land.

Die Menschen dieser Fraktion, Euch, zu verlassen, fällt mir am schwersten.

Wir müssen uns nicht verstecken. Wir sind die jüngste Fraktion mit den meisten Neuen. Und doch erwiesen wir uns als regierungsfähiger als manche unserer Koalitionspartner.

Zu dieser Regierungsfähigkeit sollten wir selbstbewusst stehen.

Wir haben damit gute Erfahrungen gemacht. Wenn heute in Indien, in China, in den USA Erneuerbare Energien schneller wachsen als alle anderen Energien, dann hat das seine Grundlage in der von uns Grünen in Deutschland durchgesetzten Energiewende.

Und wenn wir bis in Deutschland heute mehr Kohlekapazität stillgelegt haben, als Atomkraftwerke, dann war es das EEG. Und wenn das letzte Kohlekraftwerk vor 2030 vom Netz geht, dann war es der von uns gegen Schröder durchgesetzte Emissionshandel.

Grün an der Regierung wirkt. Transformation wirkt langsam – aber nachhaltig.

Deshalb war es wichtig, endlich nach 16 Jahren wieder Verantwortung zu übernehmen. Annalena, Robert, Steffi, Lisa, Cem und Claudia haben nicht nur Krisen wie Russlands Krieg gegen die Ukraine vorbildlich gemanagt und begonnen, das Erbe von 16 Jahren Merkel aufzuarbeiten.

Mit ihnen verändern wir dieses Land. 170 Gesetze in zwei Jahren zeugen davon.

Das gilt national wie europäisch. Ohne uns kein Verbrenner-Aus und kein Restore Nature, ohne uns keine Wiederbelebung der Wind- und Fotovoltaikindustrie. Ohne uns kein Klimaschutz im Gebäudebereich und kein Programm für Natürlichen Klimaschutz.

Ohne uns gäbe es nicht die erste nationale Sicherheitsstrategie Deutschlands, kein Ende großkoalitionärer China-Naivität und keine globale Klimaaußenpolitikstrategie samt Energie- und Wasserstoffpartnerschaften.

Und obwohl die FDP mit dabei ist, haben wir die eigenen Fehler aus der Zeit von Rot-Grün korrigiert – mit dem höheren Mindestlohn und der Reform des Bürgergelds wie der Kindergrundsicherung.

Manche beschreiben die Ampel als nicht handlungsfähig. Es sind die gleichen, die sich beschweren, wir würden zu viel verändern. Für uns Grüne kann ich zur Halbzeit sagen:

Wir sind handlungsfähig und bleiben handlungswillig.

Das alles ist umstritten. Das alles wird versucht zurückzudrehen. Für alles müssen wir kämpfen. Bei allem erleiden wir bittere Niederlagen – wie jüngst beim Straßenverkehrsgesetz.

Aber wenn es einfach wäre, bräuchte es uns nicht.

Deshalb liegt Bernd Ulrich komplett falsch, wenn er uns in der Zeit empfiehlt, diese Koalition zu verlassen. Das wäre verantwortungslos. Nicht nur, weil es unsere Transformationserfolge vom GEG bis zum Bürgergeld gefährdete.

Es würde den Rechtsruck in unserer Gesellschaft beschleunigen.

Von den USA bis zu unseren europäischen Nachbarn erleben wir zutiefst gespaltene Gesellschaften, in denen faschistische Parteien und Bewegungen immer stärker werden. Seht in die USA, blickt nach Spanien, erlebt die Niederlande.

Deutschland gilt heute als Anker demokratischer Stabilität in Europa und der Welt.

Das ist in Gefahr.

Schaut auf die neue Habsburger Front gegen Windenergie in Thüringen – wo CDU und FDP wieder mal mit der Höcke-AfD gemeinsame Sache machen.

Deutschlands demokratische Stabilität beruht auf der Fähigkeit und Bereitschaft seiner Demokraten zur Linken und zur Rechten über die Lager hinweg Konsense zu finden – ja Koalitionen zu bilden.

Keine Koalition ist einfach. Weder Grün-Schwarz im Ländle noch Rot-Grün in Niedersachsen. Aber Koalitionen wie in Sachsen und Brandenburg sind besonders herausfordernd. Wir stellen uns dem aus einem einfachen Grund.

Wenn Demokraten nicht zusammenstehen, kommen Anti-Demokraten an die Macht.

Das ist die historische Lehre, festgeschrieben im Grundgesetz. Es ist der Geist, den dieser Reichstag atmet:

Man darf Antidemokraten keine Macht übertragen. Nie wieder.

Diese Botschaft ist in Gefahr. Wenn die demokratischen Institutionen unter Druck geraten – wo verteidigen wir sie besser?

In den Institutionen oder hilflos auf den Oppositionsbänken?

Die nächsten Zeiten werden knüppelhart. Aber wir Grünen werden sie durchstehen.

Oder um eine aktuelle Kampagne zu zitieren: Liebe Bild – Macht Euch keine Hoffnungen. Grün bleibt Grün.

An uns wird diese Regierung nicht scheitern.

Wie gesagt, es gibt keinen richtig guten Zeitpunkt, sein Mandat niederzulegen. Aber zur Mitte der Legislatur ist es nach 25 Jahren vertretbar. Ich kann gehen, weil ich weiß, dass ich mich auf Euch verlassen kann.

Danke für alles. Und Tschüss.

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1 Kommentar

  1. tom lehner

    Sehr geehrter Herr Trittin,

    Sie werden mir fehlen. Sie waren eine Bereicherung für die Politik. Sie waren streitbar und direkt. Sie hatten eine Meinung und haben diese auch dargelegt. Das war manchmal unbequem. Aber richtig weil wichtig. Nur so gibt es Entwicklung und die Möglichkeit über den Tellerrand zu schauen. Gerade in der heutigen Zeit würde ich mir mehr „Trittins“ wünschen.

    Sie haben sich Ihren Abschied redlich verdient. Mit Applaus, noch während das Spiel läuft, als Geste und Verneigung vor Ihrer Arbeit für die Menschen.

    Dankeschön.

    Alles Gute für Sie

    Tom Lehner

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