Im Himmel ist Jahrmarkt
Während öffentlich behauptet wird, Union und FDP seien solide Finanzpolitiker, gelten Grüne und Sozialdemokraten als unsolide Schuldenmacher. In Wahrheit aber sitzen die größten Schuldenmacher rechts der Mitte. Aber keine Partei traut sich, die Menschen auf die für Deutschland zukommenden Herausforderungen auch finanziell einzustellen.
Rechts und unsolide
Schauen wir auf die Wahlprogramme der demokratischen Parteien, wird schnell klar, die meisten Versprechungen machen nicht SPD oder Grüne, sondern CDU/CSU und FDP. Weil sie keine Chance auf Realisierung haben, lassen wir die irren Forderungen der AfD und der Freien Wähler hier einmal außen vor. Sie übertreffen in ihrem Finanzvolumen sogar die Versprechungen des „Schuldenkönig“ (so Focus-Online) Christian Lindner.
Auf 138 Mrd. Kosten beziffert das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) die Kosten der Versprechungen der FDP. Diese Kosten entstehen vor allem durch die zugesagten Steuererleichterungen für Personen wie Unternehmen. Diese entlasten vor allem die oberen 10 Prozent überdurchschnittlich.
Das eint sie mit den Vorschlägen der Union. CDU/CSU wollen vor allem Besserverdienende und Unternehmen steuerlich entlasten – was den Bund, Länder und Gemeinden laut dem IW rund 89 Mrd. jährlich kosten dürfte.
Vergleichsweise solide kommen da die Grünen daher. Sie kommen trotz Klimageld für alle mit der Hälfte der Ausgaben von CDU und CSU aus. Die Summe ihrer Ausgaben beziffert das IW auf 48 Mrd., noch bescheidener ist die SPD. Ihr Wahlprogramm kostet danach 30 Mrd. Euro.
Schon die bloßen Zahlen stehen im scharfen Kontrast zu einer landläufigen Meinung, wonach die Parteien der linken Mitte hemmungslos das Geld des Steuerzahlers ausgeben wollen, die Parteien rechts der Mitte aber für eine solide Finanzpolitik stehen. Offenkundig wird rechts der Mitte das Geld mit vollen Händen ausgegeben.
Gerade im Ausgabeverhalten unterscheiden sich Grüne und Rechte. Während FDP und Union pauschal Unternehmenssteuern um gut 10 Prozentpunkte senken wollen, setzen Grüne zielgenau auf eine 10-prozentige Investitionsprämie für Investitionen in Deutschland.
Zur Rechten sollen alle Unternehmen entlastet werden, die Gewinne machen, selbst wenn sie anschließend ihre gesparten Steuern in Trumps USA investieren oder auf den Cayman-Inseln parken. Dagegen wollen die Grünen Investitionen in Deutschland befördern. Das können auch Unternehmen mit Verlust nutzen, die mit Investitionen versuchen, aus der Krise zu kommen. Anstatt irgendwie zu hoffen, dass die Entlastung zu Investitionen führt, sichert die Investitionsprämie Wertschöpfung in Deutschland. Das Modell von Robert Habeck ist so überzeugend, dass Olaf Scholz es gleich für die SPD kopiert hat.
Während also Grüne zielgenau und zweckorientiert das Geld der Steuerzahler verwenden wollen, laufen Merz und Lindner mit der Gießkanne über das Land und beglücken die Wohlhabenden.
Doch weiterhin kostümieren sich Union und FDP als solide. Dafür reicht ihnen ein Bekenntnis. Sie bekennen mit Nachdruck zur Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form. Grüne – und auch die SPD – wollen die Schuldenbremse nicht abschaffen, sondern so reformieren, dass sie als Investitionsbremse wirkt. Stattdessen tanzen Linder und Merz laut singend um das Goldene Kalb einer religiös verklärten Kreditobergrenze.
Grüne wollen sich zudem nicht auf eine Reform der Schuldenbremse allein verlassen. Neben Reformen bei der – heute verfassungswidrigen – Erbschafts- und Vermögenssteuer setzen sie zur Gegenfinanzierung, auf den Abbau klimaschädlicher Subventionen. Sie stärken also die Einnahmeseite.
Nehmen dagegen Union und FDP ihr Bekenntnis zur Schuldenbremse ernst, haben sie ein Problem. Sie müssen ihre Ausgabenwünsche im Rahmen der Schuldenbremse gegenfinanzieren. Und zwar komplett.
Theoretisch müssten zwar die Länder die Hälfte der Steuerausfälle bei der Körperschaftssteuer schultern. Bei der Senkung der Einkommenssteuer wären sie mit 42,5 und die von Finanzkrisen gebeutelten Kommunen mit 15 Prozent dabei. Das können Länder und Gemeinden sich nicht leisten. Ein solches Steuerpaket durch den Bundesrat zu bringen, erfordert also Kompensation aus dem Bundeshaushalt. Es geht dort also um Einnahmeausfälle von 138 Mrd. bei der FDP und 89 Mrd. Euro durch die CDU. Das sind 30 beziehungsweise fast 20 Prozent des aktuellen Bundeshaushalts.
Christian Lindner will laut X dafür „den Staatsapparat deutlich verschlanken, grüne Subventionen zurückfahren und das Bürgergeld reformieren“. Nur kommen dabei keine 138 Mrd. zusammen. Für das gesamte Bürgergeld werden 45 Mrd. ausgegeben. Selbst wenn die FDP eine Millionen Arbeitslose in prekäre Job prügeln würde, blieben immer noch rund 36 Mrd. an Ausgaben übrig. Und in der Bundesverwaltung in Jahresfrist so viele Stelle zu kürzen, klappt nur, wenn Bundeswehr, Bundespolizei und BKA halbiert werden. Da sind Beamten- und Soldatengesetz vor. Wahrscheinlich denkt die FDP aber eher daran, den Steuerzuschuss von 133 Mrd. in der Rente und damit die Renten zu kürzen. Aber das sagt sie lieber nicht laut. Es würde zudem auf massive verfassungsrechtliche Hürden stoßen.
Das alles ist ungefähr zu seriös wie die alte Idee der Linken, mit Kürzungen im Rüstungsetat Bildung und Kitas zu finanzieren. Im Nachhinein rechtfertigt die FDP rückwirkend die Entlassung Lindners – wegen dokumentierter Rechenschwäche.
Das gilt im Prinzip auch für die Vorschläge der Union. Auch sie setzt auf die gleichen Maßnahme zur angeblichen Gegenfinanzierung. Dass es nicht aufgeht, haben aber Merz und Linnemann gemerkt. Deswegen sollen ihre Wahlversprechen nicht sofort, sondern schrittweise umgesetzt werden. Und dafür haben sie ein neues Zaubermittel. Mit der Union soll es ein durchschnittliches jährliches Wachstum von 2 % geben.
Dieses Argument kommt mir seltsam bekannt vor. Als in der Wirtschaftskrise der 1970er Jahre Helmut Schmidt die Staatsverschuldung hochtrieb, tat er dies mit dem vulgärkeynesianischen Argument, dass das durch Schulden ausgelöste Wachstum dazu führe, die Kredite zurückzahlen zu können. Das hat schon damals nicht funktioniert – und die CDU hat es heftig kritisiert. Am Ende stand Deutschland nicht vor der Alternative 5 Prozent Inflation oder 5 Prozent Arbeitslosigkeit, sondern hatte beides.
Nun greift die Union auf das gleiche Wachstumsargument zurück. Das wird schief gehen. Wir leben nicht nur in einer konjunkturellen, sondern vor allem in einer strukturellen Krise. Das deutsche Exportmodell ist an ein Ende gekommen.
Die Idee, wir produzieren mit billigem russischen Gas Autos, Maschinen und Chemie und verkaufen diese in der ganzen Welt, die sich dafür verschuldet, funktioniert nicht mehr. Der eine Schlüsselmarkt, China, ist in der Krise, schottet sich ab und betreibt unfairen Wettbewerb. Es flutet den Weltmarkt mit seinen subventionierten Überkapazitäten. Auf dem anderen Schlüsselmarkt – den USA – haben wir noch einmal einen Rekordhandelsüberschuss erzielt von 65 Mrd. Euro. Dieses – aus Sicht der USA – schlimme Defizit ist eine einzige Ermunterung für Donald Trump den angesagten Handelskrieg gegen das von „Littel China“ gennanten Europa und insbesondere Deutschland zu verschärfen.
Wo unter den Rahmenbedingungen eines Handelskrieges jährliche Wachstumszahlen von 2 Prozent für eine Exportnation herkommen sollen, ist rätselhaft – mit dem Bau von Verbrennern und Gasheizungen? Da hilft auch das Absenken des Lohnniveaus durch die Rückkehr zu Schikane beim Bürgergeld nicht.
Die politische Rechte in Deutschland ist finanzpolitisch unsolide. Sie verspricht den Menschen: Im Himmel ist Jahrmarkt. Die FDP glaubt das sogar selbst. Die CDU weiß, dass das nicht stimmt, aber erzählt es trotzdem, in dem Wissen, dass es so nicht kommen wird. Wortbruch mit Ansage. Man weiß nicht, was schlimmer ist, die Dummheit oder die Dreistigkeit.
Dabei wäre es angesichts des Systemwechsels in den USA, der Krisen und Kriege gerade im Wahlkampf angesagt, darüber zu streiten, was wir tun müssen, um mit all dem besser fertig zu werden.
Kriegstüchtig? Never
Es hat angesichts von Putins Überfall auf die Ukraine, angesichts der Drohungen von Trump gegen Kanada, Panama und Grönland nur zwei Positionierungen gegeben, die dem Anspruch auf eine ehrliche Debatte gerecht wurden.
Verteidigungsminister Boris Pistorius hat von Deutschland verlangt, es müsse „kriegstüchtig“ werden, um den Krieg zu vermeiden. Und Wirtschaftsminister Robert Habeck hat eine Schätzung dafür geliefert, was das kosten würde: Dauerhaft 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Beide haben sich damit nicht beliebt gemacht. Doch klammheimlich, wissen alle, dass Boris und Robert recht haben.
Mit einem Rüstungsetat von 53 Mrd. und dem Sondervermögen kam Deutschland 2024 auf über 73 Mrd. an Rüstungsausgaben. Das wird nicht reichen. Natürlich wissen wir nicht, ob es am Ende 2,5 oder gar 4 Prozent werden. Aber wir sprechen von einem Betrag von jährlich über 100 Mrd. Euro. Schauen wir in die Parteiprogramme der potenziellen Regierungsparteien, so finden sich in allen Hinweise darauf, dass es mehr als die dies Jahr erreichten 2 Prozent werden müssten. Nur in den finanziellen Vorschlägen von CDU/CSU, SPD, FDP aber auch der Grünen ist all das nicht hinterlegt.
Will Europa nicht erpresst und gespalten werden, muss es mehr in seine eigene Sicherheit investieren. Das ist zudem eine Frage, wo dieses Geld ausgegeben wird. Folgt man Wolfgang Ischinger landen heute 80 Prozent der europäischen Verteidigungsausgaben als Rüstungsaufträge in den USA. Annalena Baerbock hat dagegen zu Recht gefordert, die Antwort auf America First müsste „Europe United“ heißen.
In der Sicherheitspolitik heißt das, wir müssen nicht nur standardisieren. Wir müssen eine europäische Rüstungsindustrie aufbauen. Wir brauchen ein europäisches Kampfflugzeug, eine europäische Drohnenindustrie und einen nicht von US-Technologie abhängigen Raketenabwehrschirm in Europa. Das ist teurer, als in den USA shoppen zu gehen, wie wir es mit dem letzten Sondervermögen gemacht haben.
Spricht man dies an, so bekommt man von Sicherheitspolitikern gerne zu hören. Das sei kein Problem. Bei Willy Brandt habe das doch auch geklappt. In der Tat hat der Kanzler der Entspannung nicht nur die Grundlage für die Charta von Helsinki gelegt. (West-) Deutschland gab damals vier Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Rüstung aus.
Doch wie wurde das finanziert? Zum einen galt in den Siebzigern ein Spitzensteuersatz von 53 Prozent in der Einkommenssteuer, heute liegt er bei 42 %. Dieser Satz soll bei Union wie FDP nun erst später greifen. Damals wurde die Vermögenssteuer noch eingezogen – heute ist sie ausgesetzt. Heute sind Millionen-Erbschaften faktisch steuerbefreit. Und für die Lasten des zweiten Weltkrieges mussten Vermögenden damals zusätzlich Lastenausgleich leisten.
Weder mit Christian Lindners noch mit Friedrich Merz Steuersenkungsplänen lassen sich Verteidigungsausgaben auf dem Niveau Willy Brandts finanzieren. Kriegstüchtigkeit geht nicht zusammen mit Steuersenkungen für Besserverdienende. Und, anders als von Olaf Scholz befürchtet, lassen sich dauerhaft über 100 Mrd. jährlich auch nicht aus Kürzungen bei Rente und Wohngeld finanzieren.
Doch nicht nur Union und FDP ereilt die schlechte Botschaft. Auch SPD, Grüne und Linke. Ausgaben dieser Höhe und Dauer sind nicht über Sondervermögen zu finanzieren. Das geht nicht auf Pump. Auch eine Reform der Schuldenbremse hilft höchstens kurzfristig bei dringend notwendigen Beschaffungen.
Sicherheit kostet. Es bedarf klarer Einnahmeverbesserungen. Wie die aussehen können, zeigt die Geschichte. Es nicht so, dass die USA und Großbritannien den 2. Weltkrieg nur über eine gigantische Staatsverschuldung finanziert hätten. 1944 musste in den USA für Einkommen oberhalb 200.000 Dollar 94 Prozent Steuer gezahlt werden, das entspräche einem heutigen Einkommen von 2,5 Millionen. Bis in die Zeit von Ronald Reagan galt dort ein Spitzensteuersatz von 70 Prozent. Erbschaften wurden in den USA mit 70 und in Großbritannien mit 65 Prozent besteuert.
Nun müssen wir hoffentlich keinen Krieg führen. Wir wollen Krieg durch Abschreckung vermeiden. Sätze der Höhe der Vierziger werden nicht notwendig werden. Aber, dass das obere Zehntel der Bevölkerung mehr für unser aller Sicherheit zahlen muss, ist evident. Die Alternative dazu wäre eine kräftige Mehrwertsteuererhöhung. Diese würde die Steuerquote gerade von Haushalten mit niedrigen Einkommen weiter in die Höhe treiben. Damit würde sie die lahmende Binnennachfrage beschädigen und so Wachstum bremsen.
Seriöse Finanzpolitik besteht nicht in Glaubensfestigkeit, dem Prinzip Hoffnung und falschen Versprechungen. Der schon länger bestehende Systemkonflikt mit Chinas Staatskapitalismus und der neue mit dem US-Oligarchenkapitalismus stellt nicht nur Deutschlands Wirtschaftsmodell infrage. Beide Konflikte erfordern verstärkte Investitionen in unsere ökonomische wie politische Sicherheit. Das bedarf einer soliden Finanzpolitik. Dafür müssen die Einnahmen leistungsgerecht verbessert werden.