Seltsam überrascht schaut die Welt auf die Schnelligkeit, mit der Trump und Musk die demokratischen Institutionen der USA zerstören. Das Mutterland der Demokratie ist auf dem Weg, den demokratischen Kapitalismus durch einen autoritären Oligarchismus zu ersetzen. Ungläubig schauen viele zu, wie die Dreistigkeit eines Systemwechsels von einer bewusst inszenierten nazistischen Ikonografie begleitet wird. Dagegen gingen jetzt Hunderttausende auf die Straße. Sie sehen die USA am Rande eines neuen Faschismus.
… und das Schönreden der bitteren Realität
Die Anhänger von Make America Great Again machen keinen Hehl aus ihrer Vorliebe für Nazisymbole. Vom siegheilenden Elon Musk bei Trumps Inauguration bis zum Führergruß des Steve Bannon bei der Conservative Political Action Conference in Maryland. Sie wissen, was sie tun. Und sie meinen es so.
Mitte März haben die USA über als 200 Venezolaner illegal – entgegen richterlicher Anordnung – nach El Salvador deportiert. Über diese Aktion ließ die US-Regierung ein Video veröffentlichen:
„Es ist ein Video aus dem Playbook autoritärer und faschistischer Propaganda: Zu bedrohlicher Musik marschieren schwer bewaffnete Männer auf. Einige von ihnen zerren in Ketten gelegte Menschen, während sie die Köpfe der Gefangenen brutal herabdrücken. Sie zwingen sie zu einem gebückten Gang, über einen Flugzeughangar, in ein Flugzeug. Sie werden in gepanzerte Fahrzeuge gezwungen. Einer der Bewaffneten zerrt das T-Shirt hoch, um den nackten, tätowierten Rücken des Gefangenen zu entblößen…“ 1
Der Spiegel nannte es „faschistoides Daumenkino“: „Kameras hielten eine Prozedur fest, für die womöglich eigens ein Drehbuch, vielleicht sogar ein Moodboard entwickelt worden war.“ 2 Das Video endet in einem Bild, mit dem der Deutschlandfunk seinen Bericht zur illegalen Deportation bebildert.3 Es war ein Bild welches mit Absicht und im Wissen, um die mit ihm verbundenen Assoziation an historische Lager, an den Schluss dieses menschenverachtenden Clips gesetzt wurde.
Mein Vorwurf, das Video hätte bewusst die Schrecken von Buchenwald und Dachau für seine menschenfeindliche Propaganda nachinszeniert4, löste einen rechten Shitstorm aus. Nicht die Dreistigkeit der neuen Faschisten, Buchenwald und Dachau bewusst zu instrumentalisieren, war der Anlass für Beschimpfungen, sondern meine Kritik daran. Ausgerechnet Die Welt, die stolz auf ihren siegheilenden Kolumnisten und AFD-Fan Elon Musk ist, ließe eine „Gegenrede“ veröffentlichen.
Es ist keine Relativierung des Holocaust, wenn man Trumpisten dafür kritisiert, die Ikonografie der Nazis zu benutzen, um Schrecken zu verbreiten.
Dagegen ist es naives Schönreden der Wirklichkeit, zu leugnen, was gerade in den USA passiert.
Der inzwischen aus den USA nach Kanada emigriere Historiker Timothy Snyder analysiert diesen Film so:
“Das Ergebnis ist ein Propagandafilm, der der 1930er Jahre würdig ist, in dem der Führer durch ein Verfahren charismatischer Gewalt bestimmt, was wahr und was falsch ist, wer ein Mensch ist und wer nicht (‚Monster‘). Wenn Sie sich diese Filme ansehen, bedenken Sie bitte, dass diese Sie in eine Politik von ‚wir‘ und ‚sie‘ hineingezogen werden sollen, in eine Welt der Lüge und des Hasses jenseits des Gesetzes, in ein neues Regime, das an die Stelle unserer Republik treten kann – aber nur mit Ihrem Einverständnis.” 5
Wer Snyders Hinweis auf die 30 er Jahre unpassend findet, werfe einen Blick in die Münchner Illustrierten Presse vom 16. Juli 1933, in dem über einen „Frühappell“ im KZ Dachau berichtet wird.6
Wer diese Geschichte vor Augen hat, muss sich sorgen, wenn in El Salvador Zehntausende junge Männer unter dem Vorwand Gangmitglieder zu sein, ohne Beweis, ohne Gerichtsverfahren interniert werden. Noch schlimmer wird es, wenn diese Lager von den USA dadurch geadelt werden, dass sie das Lagersystem finanzieren, selbst nutzen und der Präsident Lager als TV-Show über Social-Media verbreitet.
Ob Trumps Disruption in den USA zu einem Ende des Systems des demokratischen Kapitalismus und zur Errichtung einer autoritären Oligarchie in den USA führt, ist offen. Die Hunderttausenden am ersten Aprilwochenende in Boston, Chikago und Washington zeigen die Vitalität demokratischen Widerstands. Doch die von Trump eingeschlagene Richtung ist besorgniserregend.
Es ist mit keinen rechtsstaatlichen Standards vereinbar, Menschen bloß wegen Tattoos zu deportieren und in anderen Ländern in Lagern internieren zu lassen. Es ist offener Rechtsbruch, wenn dies unter Verletzung eines Gerichtsurteils geschieht. Es ist erschütternd, wenn US-Außenminister Marco Rubio den Rechtsbruch per Retweet abfeiert. Vor allem aber ist es ein Skandal, wenn dieser Rechtsbruch in einem „Propagandafilm, der der 1930er Jahre würdig ist“ (Timothy Snyder) gerechtfertigt wird.
Es verwundert schon, dass der neue dreiste Faschismus einigen weniger Sorgen macht als Kritik daran. Wir werden Zeugen des Versuchs der autoritären Umgestaltung der amerikanischen Demokratie. Ob der Systemwechsel zu einem autoritären Oligarchismus gelingt, ist eine offene Frage. Offensichtlich aber folgt der versuchte Systemwechsel faschistischen Mustern. Unbestreitbar bedienen sich die neuen, dreisten Faschisten dabei bewusst und vorsätzlich einer Nazi-Ikonografie.
„Was wir jetzt sehen – das ist Faschismus“ so der ebenfalls nach Kanada emigrierte Philosoph Jason Stanley. „Faschismus ist nicht einfach ein Schimpfwort, sondern ein Konzept, das uns hilft, die Realität zu verstehen.“ 7 Die Realität zu verstehen, ist die Voraussetzung dafür, dem neuen, dreisten Faschismus zu begegnen. Dafür müssen wir uns vom Schönreden dieser bitteren Realität verabschieden.
Trumps ostentative Unterstützung der Regierung Netanyahu sollte nicht zu dem Fehlschluss führen, es handele sich bei ihm und seinen Bro‘s um Faschisten ohne Antisemitismus. Bekanntlich hat die Regierung Netanyahu keine Probleme mit Rechten wie Viktor Orban, der mit einer antisemitischen Kampagne gegen George Soros Wahlkampf betrieb. Der Likud hat bei den Faschisten im Europaparlament Beobachterstatus. Der Minister für Antisemitismus suchte gar die Nähe zu rumänischen Holocaustleugnern.8
Die amerikanische Rechte eint die antisemitische Erzählung vom Great Reset. Trumps Antisemitismusbeauftragter Leo Terrell retweetete jüngst, dass der Präsident die Befugnis habe „jemandem den Judenausweis zu entziehen“9. Gemeint war der demokratische Minderheitsführer Chuck Schumer. Martin Niemöllers Gedicht „Als die Nazis die Kommunisten holten“ bekommt eine beklemmende Aktualität.10 Auch dagegen sind die Menschen in den USA auf die Straße gegangen. Sie wehren sich gegen den neuen dreisten Faschismus.
1 Annika Brockschmidt:“ Trumps faschistischer Durchmarsch & unsere Medien verharmlosen es“ https://www.volksverpetzer.de/aktuelles/trump-faschismus-medien/
2 https://www.spiegel.de/kultur/trump-und-die-abschiebungen-faschistoides-daumenkino-a-9d93d9a3-042f-4e5a-a0ce-3146a1a8c280?sara_ref=re-so-app-sh
3 https://www.deutschlandfunk.de/warum-die-usa-venezolanische-gangster-nach-el-salvador-abschieben-100.html
4 https://bsky.app/profile/trittin.de/post/3lkn42eo42c2v
5 vgl. Brockschmidt https://www.volksverpetzer.de/aktuelles/trump-faschismus-medien/
6 https://www.dhm.de/lemo/bestand/objekt/95003747-1
7 https://www.zeit.de/kultur/2025-03/jason-stanley-donald-trump-wissenschaft-usa-timothy-snyder-kanada
8 https://www.spiegel.de/ausland/israel-rechtsradikale-bei-konferenz-gegen-antisemitismus-in-jerusalem-a-03e06de1-b98e-46d8-97d2-8139ebe595b2
9 Brockschmidt, https://www.volksverpetzer.de/aktuelles/trump-faschismus-medien/
10 https://martin-niemoeller-stiftung.de/martin-niemoeller/als-die-nazis-die-kommunisten-holten