Nur wer die Gesellschaft zusammenhält, wird Europa zusammenhalten

Der Austritt Großbritanniens offenbart kein britisches sondern ein europäisches Problem. Europa hat die Finanzmarktkrise bis heute nicht überwunden. Europa versagt bei der Aufnahme und Unterbringung von Menschen auf der Flucht. Die Antwort der europäischen Konservativen auf diese Krisen hat die Grundlage für den Aufstieg des Rechtspopulismus gelegt. Der Brexit erfordert grundlegende Veränderungen. Das Europa der Konservativen ist gescheitert, wir brauchen ein soziales Europa. Denn nur wer die Gesellschaft zusammenhält wird Europa zusammenhalten können.

Der Brexit verweist auf eine mehrfache Spaltung des Großbritanniens, geografisch zwischen England sowie Schottland und Nordirland, demografisch zwischen den über und denen unter 50, sozial zwischen geringer qualifizierten und einkommensschwächerer Wähler und denen mit höherer Qualifikation und Einkommen, zwischen Land und Stadt.

Mit dem Votum für den Brexit drückten die schlechter qualifizierten, einkommensschwächeren Älteren ihren Zorn über die globalisierten Eliten aus. Ihr Ja zum Brexit war ein Votum gegen die da oben und die in der City. Deshalb  fruchteten auch deren richtige ökonomische Argumente nicht.

Dies ist kein britisches Problem sondern ein europäisches. Menschen wie Brexit-Befürworter gibt es in Österreich und Polen, in Frankreich wie in den Niederlanden. Es gibt sie auch in Deutschland. Und dem wird man nicht mit etwas mehr Bildungsgerechtigkeit gerecht. Das empfinden sie als Bedrohung.

Ihr Furor über die „korrupten Eliten“ hat politische und ökonomische Ursachen. Er ist in den Erfahrungen der Finanzmarktkrise begründet. Sie hat – nach 25 Jahren Dominanz des Neoliberalismus – die alten Aufstiegsversprechen des Wohlfahrtsstaates zertrümmerte, der bei uns mal Soziale Marktwirtschaft hieß. Am Ende wurden die Steuerzahler für das Marktversagen in Haftung genommen. Bankschulden wurden zu Staatsschulden und Erspartes zählt nicht mehr.

In allen Staaten Europas haben einstmals offen marktliberale Konservative das Scheitern des Neoliberalismus mit zwei Mustern bewältigt.

Zum einen wurde auf einen äußeren Feind abgelenkt. Die Bedrohung kam nicht mehr von den globalisierten Finanzmärkten und großer wirtschaftlicher Macht, sondern durch die wachsende Zahl von Migranten. Jene Polen, die Großbritanniens Wohlstand als Handwerker und im Dienstleistungssektor gemehrt hatten, wurden zur Ursache der Krise erklärt. In Deutschland wurden die in der Fleisch- und Bauindustrie versklavten Rumänen zum Objekt einer Hass-Kampagne der CSU. Bestätigung fand dieses Bild, als durch die Kriege in Syrien, dem Irak und in Libyen das System von Dublin zusammenbrach.

Von Konservativen wurde der rechte Populismus hoffähig gemacht. Konservative wie Cameron lieferten die Muster für die Farages und Johnsons. Am Ende konnte Cameron den Besen den er selbst gerufen hatte, nicht mehr in die Ecke bekommen. Johnson fegte ihn weg. Seehofer steht diese Erfahrung noch bevor.

Der andere Diskurs des demokratischen Konservatismus definierte die geplatzte Blase des Immobilienmarkts der USA, Spaniens und Irland zur „Staatsschuldenkrise“ (Angela Merkel) um. Erfolgreich illustriert wurde dies am – eher untypischen – Beispiel Griechenlands. Mit Verweis auf Griechenland vergemeinschaftete Merkel die Politik der Austerität in ganz Europa.

Ökonomisch war das nicht erfolgreich. Europa steht 7 Jahre nach dem Crash schlechter da als die USA. Allein die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank konnte die durch Krise und Kürzungen ausgelöste Investitionsschwäche nicht ausgleichen. Die hoch gehaltene Schwarze Null droht zum schwarzen Loch für die Zukunft Europas zu werden.

Politisch brach Merkel mit der Griechenlandpolitik ein Tabu. Der erste Angriff auf eine „immer engere Union“, war nicht der Brexit. Das war der von der Merkel-Regierung betriebene Grexit – der Ausschluss Griechenlands aus der Eurozone.

Die Legitimität des gemeinsamen Europas ruht auf drei Versprechen: Frieden für alle, Demokratie für alle, Wohlstand für alle. Offensichtlich nehmen weite Teile der Bevölkerung Europa diese Versprechen nicht mehr ab. Das ist der Kern der Renaissance des Nationalen.

Will Europa seine existentielle Krise überwinden, muss es seine Versprechen glaubwürdig erneuern.

Frieden für alle ist mehr als nicht mehr gegeneinander Krieg zu führen. Es geht um die Bewältigung der Krisen in unserer Nachbarschaft – in der Ukraine, in Syrien und dem Irak, in Libyen. Ohne Frieden bei den Nachbarn keine Lösung der Flüchtlingskrise. Gerade hier können die Nationalstaaten viel weniger erreichen, als ein gemeinsames Europa. Wenn sich aus der Multipolaren Welt nicht eine neue Bipolarität zwischen den USA und China entwickeln soll, dann geht es nur mit einem starken Europa.

Es wird jetzt viele Vorschläge geben, das Demokratieversprechen Europas zu stärken. Das ist gut so, denn dies Versprechen führte den Süden wie den Osten nach Jahrzehnten der Diktatur und Autokratie in die EU. Mehr Mehrheitsentscheidungen, mehr Transparenz sind richtig, helfen aber nicht viel.

Kontraproduktiv sind Versprechungen, mehr auf die nationale Ebene zurück zu verlagern. Man wird sie nicht halten können. Zur Ehrlichkeit gehört: Keines der drängenden globalen Probleme – von Wachstumsschwäche über Klimawandel bis Staatszerfall – kann besser national als europäisch gelöst werden.

Es muss also die Legitimität europäischer Entscheidungen verbessert werden.

Und wir brauchen eine Stärkung der europäischen Identität – etwas was eine Reihe von Briten erst nach dem Referendum bei sich erstaunt feststellte. Wir sind eben schon lange nicht mehr nur Deutsche, Briten, Polen oder Spanier. Wir sind Unionsbürger, wir sind als Deutsche, Briten, Polen oder Spanier Europäer.

Das zentrale Versprechen aber, dass erneuert werden muss, ist das auf Wohlstand für alle. Teilhabe am wachsenden gesellschaftlichen Wohlstand – das war ein zentrales Versprechen der EU. Es stand an ihrem Anfang und der Süd- und Osterweiterung.

Wohlstand für alle, ist für deutsche Christdemokraten eine wohlbekannte aber unbequeme Botschaft. Jahrelang hat eine konservative Mehrheit in Rat, Parlament und Kommission unter Wettbewerbsfähigkeit vor allem Deregulierung verstanden. Eine Sozialunion wurde abgelehnt, gegen soziale oder ökologische Standards wie die Anti-Diskriminierungsrichtlinie oder den Emissionshandel wurden ganze Wahlkämpfe geführt. Die deutschen Konservativen wollten – Cameron nicht unähnlich – mehr Freihandel und einen weniger gut regulierten Binnenmarkt.

Wohlstand für alle wird es nur geben, wenn wir mit dieser Politik brechen. Und mit den demagogischen Reden darüber.

Die Europäische Union ist eine Transferunion. Sie war es von Anfang an. Gemeinsame Agrarpolitik, Strukturfonds, all dies sind Transfers. Und das Paradoxe ist – die, die netto am meisten zahlen profitieren davon ebenfalls.

Vor allem aber muss die Wirtschaftskrise überwunden werden. Dafür muss die Politik der Austerität und der Deregulierung beendet werden. Wir brauchen in Europa mehr Investitionen – vor allem in Infrastruktur wie Strom-, Gas- und Kommunikationsnetze – und eine ökologische Modernisierung. Nur so wird die Arbeitslosigkeit in der Peripherie überwunden werden können. Dafür bedarf es solider Finanzierung – auch durch das Schließen legaler Steuerschlupflöcher.

Am Ende bleibt eine einfache Wahrheit: Nur wenn wir die Gesellschaft zusammenhalten, werden wir Europa zusammenhalten.

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